Das Grauen kommt um 10
Jill hat eine Stelle als Babysitterin angenommen und passt auf die Kinder von Doktor Mandrakis auf. Der erwartet ruhige Abend wird allerdings ständig durch das Telefon unterbrochen. Ein seltsamer Anrufer meldet sich wiederkehrend. Die eingeschaltete Polizei glaubt zunächst an einen harmlosen Spinner und schafft es sie ein wenig zu beruhigen, bis sie bei einem weiteren Anruf feststellt, dass sie nicht nur angerufen, sondern auch beobachtet wird.
Als ich „When a stranger calls” in jungen Jahren erstmalig sah, brachte mich der Film komplett zum Schlottern und versetzte mich in Panik. Natürlich ist das Sujet heutzutage bekannt, aber damals eben nicht wirklich, auch wenn es bereits Vorläufer gab. Sogar von Regisseur Fred Walton selbst, da er bereits 1977 den Einstieg in den Film, als Kurzfilm drehte. Deshalb kann ich nicht ganz nachvollziehen, warum man dem Film ein „Halloween-Fahrwasser“ unterstellt, wie auch im Booklet von Nando Rohner geschehen. Das passt weder inhaltlich noch inszenatorisch. Erstens hat Michael Myers nicht gerade ein Faible für ausufernde Telefongespräche und Zweitens ist das absolut kein „Stalk and Kill“ Slasher. Aber genau durch diese Erwartungshaltung reduziert man den Film leider immer noch auf den zugegebenermaßen unglaublichen Einstieg in den Film und auch sein Finale. Passierte mir in der Jugend allerdings auch, da nach den ersten 25 Minuten der eigene Puls, der sich komplett auf Anschlag befand, wieder in ruhigere Dimensionen glitt. Aus heutiger Sicht empfinde ich das völlig anders. Der mittlere Teil des Films gefällt mir inzwischen genau so gut wie der Rest. Die Charakterisierung des geistig gestörten Mannes finde ich absolut hervorragend und zusätzlich ist die Atmosphäre des hoffnungslosen New York einfach ganz stark umgesetzt. Großartig ist auch die Musik von Dana Kaproff, die für eine wirklich unheilvolle Untermalung und eine ganz eigene Stimmung sorgt. Für mich ist dieser Part absolut großartig, was auch am wirklich fantastischen Spiel von Tony Beckley liegt, der dem Psychopathen eine Menge zu seiner zerrissenen Figur mitgibt. Auch wegen dieser eindrucksvollen Performance, ist „When a stranger calls“ eben ganz weit weg von einem maskierten Killer der Teenies jagt. Leider ist Tony Beckley kurz nach den Dreharbeiten gestorben.
Die erneute Sichtung des Films, kam tatsächlich durch meine Brian De Palma Retrospektive zu Stande, da mir der zweite Hauptdarsteller, Charles Durning, durch seine Arbeiten mit De Palma, den Film wieder in Erinnerung rief. Er spielt nämlich einen ehemaligen Polizisten, der nun als Privatdetektiv versucht den brandgefährlichen Geisteskranken unschädlich zu machen. Ich finde den Film wirklich großartig mit seiner Mischung aus Hochspannungsthriller und Psychodrama. Er schrammt eigentlich nur ganz knapp an der Höchstwertung vorbei, da zwei wichtige inhaltliche Sprünge, nicht sorgfältig ausgearbeitet wurden und man an diesen Stellen etwas mehr Hintergrund für die Nachvollziehbarkeit benötigt hätte. Deswegen wirkt es an diesen zwei Stellen etwas gestückelt.
Im Jahr 2006 gab es auch ein Remake, welches den Titel „Unbekannter Anrufer“ trägt. Das ist aber eigentlich kein Remake von „Das Grauen kommt um 10“, sondern eher ein Remake des Kurzfilms „The Sitter“, den Fred Walton eben 2 Jahre vorher drehte. Allerdings hat man beim Remake diese 20 Minuten auf über 80 Minuten aufgeblasen. Der deutsche Name ist übrigens mal wieder äußerst seltsam, da hier um 10 rein gar nichts passiert.
Für jeden Thriller-Freund, der auch gerne etwas mehr Tiefgang mag, eine absolute Empfehlung! Beginn und Finale ziehen einem die Schuhe weg und der Mittelteil ist so großartig geschrieben, dass einen die Figuren am Ende nachdenklich zurücklassen, sofern man ein wenig Empathie mitbringt.