Schwarzer Engel

Russel Faraday

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Schwarzer Engel


New Orleans, 1959: der Immobilienmakler Michael Courtland verliert bei einer schiefgelaufenen Lösegeldübergabe die entführte Frau nebst Tochter und zieht sich daraufhin in sich zurück, ehe er 1975 in Florenz der Restauratorin Sondra begegnet, die das perfekte Ebenbild seiner toten Ehefrau ist.

1975, ein Jahr vor seinem Durchbruch „Carrie“, inszenierte Regisseur Brian DePalma diesen stark von „Vertigo“ beeinflussten Mix aus Thriller und Liebesfilm, dessen Drehbuch er gemeinsam mit Paul Schrader erarbeitete. Wer die frühen DePalma-Filme kennt, der weiß, dass sich der Regisseur gern recht großzügig bei Hitchcock bediente, und so scheint es kein großes Wunder zu sein, dass er nunmehr einen großen Film als Vorbild für seinen eigenen, kleineren nimmt. Die obige Handlung ist schnell erzählt, und viel mehr soll dann auch tatsächlich nicht geschehen, von einer Pointe und einem sehr mutlosen Finale abgesehen.

Doch der Reihe nach: „Obsession“, so der passendere O-Titel des Films, scheint aus einer früheren, vergangenen Zeit zu stammen, als noch ganz andere Streifen gedreht wurden. Vergegenwärtigen wir uns, dass wir das Jahr 1975 schreiben und das New Hollywood auf seinem Höhepunkt ist. „Taxi Driver“ (ebenfalls von Paul Schrader) steht quasi schon in den Startlöchern, da mutet DePalmas Hitchcock-Huldigung ziemlich altmodisch und bieder an. In weichen Bildern zeichnen er und Kamera-Virtuose Valmos Zsigmond ein in erster, zweiter und dritter Linie ziemlich banalen Liebesfilm, dem nach düsterem Start auch öfter mal die Puste ausgeht und der vor allen von seinen tollen Darstellern getragen wird, wobei sich hier besonders Genevieve Bujold (fieser Name) hervortut und ihre zwei bzw. drei Rollen beispielhaft aus dem Handgelenk schüttelt, während ihr Co-Star Cliff Robertson sehr zurückhaltend agiert, was natürlich vor allem seinem Filmcharakter geschuldet ist. Mit John Lithgow ist ein drittes, recht bekanntes Gesicht dabei, der sein übliches Programm absolviert, ohne besonders positiv oder negativ aufzufallen, Richtig die Sau sollte er ohnehin erst ein paar Jahre später in „Buckaroo Banzai“ rauslassen.
Leider ist recht früh klar, dass er ein doppeltes Spiel spielt. Direkte Hinweise gibt uns die Handlung diesbezüglich zwar nicht, aber Lithgow wäre nicht Lithgow, wenn er keinen Mistsack verkörpern würde…

Ganz besonderes Augen- bzw. Ohrenmerk richtet der Zuschauer/-hörer natürlich auf die Filmmusik, die von keinem Geringeren als Bernard Herrmann stammt, der seinerzeit auch „Vertigo“ vertonte und dessen bisweilen schmalzige Streicherteppiche den antiquierten Charakter des Films noch unterstreichen. Herrmann, bereits stark gesundheitlich angeschlagen, schöpft noch einmal aus den Vollen und nahm wohl auch sonst starken Einfluß auf „Obsession“. Mehreren Hintergrundberichten kann man entnehmen, dass es im ursprünglichen Drehbuch wohl noch einen weiteren, finalen Akt gab, in dem Courtland die Entführung seiner Frau mithilfe eines Therapeuten noch einmal komplett durchlebt, um schließlich seine Läuterung zu erfahren. Herrmann hielt dies für unangebracht, DePalma stimmte ihm zu, und Schrader stieg schmollend aus und distanzierte sich vom fertigen Film. Rückblickend betrachtet, wurde hier sicher die richtige Entscheidung getroffen, aber das ändert nichts daran, dass sich „Obsession“ im Schlussakt der letzten Konsequenz verwehrt. Statt das Potential einer großen Tragödie zu nutzen, versackt das Finale doch nur in Schmalz und Kitsch. Meiner Meinung nach hätte dieses Ende viel besser gepasst.
Courtland und Sondra fallen sich nicht kitschig in die Arme, sondern er schießt sie, die sein Leben ruiniert hat, tatsächlich nieder, um DANN zu erfahren, dass sie seine totgeglaubte Tochter ist

Dies wäre eine Tragödie griechischen Ausmaßes gewesen, aber Schrader und DePalma lassen die Chance ungenutzt und stehen sich auch an anderer Stelle selbst im Weg:
Wem Sondras Hinweis auf ihre katholische Erziehung zu subtil war, dem schmiert es Robert (John Lithgow) kurz vor Schluß noch einmal deutlich auf’s Brot: sie und Courtland hatten keinen Sex während ihrer Beziehung.

Auch hier hätte man ruhig etwas mutiger sein und dem Film eine deftige Würze verleihen können, aber das produzierende Studio hätte dies vermutlich ohnehin nicht durchgehen lassen: eine entsprechende Szene wird bewusst als Traum inszeniert, um keinen Ärger mit Zensoren zu bekommen.

So bleibt unterm Strich ein halbgarer Thriller ohne Mut, der in wirklich schönen Bildern und schwelgender Musik seine Geschichte erzählt, aber nicht mehr als eine Fußnote im kollektiven Kinogedächtnis der Menschheit darstellt. Sicher einen Blick wehrt, aber kein großes Meisterwerk. Es gibt wahrlich bessere DePalmas… aber eben auch einige schlechtere.
 

Willy Wonka

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Seit fünf Jahren schlummert hier die Kritik im Forum und bislang scheint sich kaum jemand diesem Film angenommen zu haben. Nachdem ich mir vor einigen Wochen zum ersten Mal „Dressed to Kill“ angesehen hatte, habe ich ein paar Tage später Lust verspürt einen weiteren De Palma Film endlich zu schauen und da fiel meine Wahl auf „Schwarzer Engel“, der bereits auch seit einiger Zeit ungesehen im Regal stand.

Prinzipiell kann ich mich deinen formulierten Kritikpunkten nur anschließen und auch die alternativen Vorschläge hätten den Film vermutlich besser gemacht. Dennoch hat mich De Palma mit seiner Inszenierung erneut gepackt und die melodramatische Atmosphäre hat mich stark an Douglas Sirk erinnert. Die Pathos, das Agieren der Charaktere, die schwülstige Musik und die ausladende Kamera atmen für mich sehr stark den Geist von Sirks Melodramen und deswegen habe ich ihn mehr wie ein obsessives, dunkles Melodrama nach Sirk gelesen, statt mein Fokus auf die gängige Hitchcock-Rezeption zu legen. Das mag wahrscheinlich dem geschuldet sein, dass ich in den letzten Jahren vielmehr extrovertierte Melodramen gesehen habe als Hitchcock-Thriller. Und meine letzte Sichtung von „Vertigo“ liegt mittlerweile so viele Jahre zurück, dass ich mich nur noch bruchstückhaft an die Handlung erinnern kann.

Vielleicht ist das auch einer der Gründe, wieso ich mit „Schwarzer Engel“ doch so viel anfangen konnte und ich mich nur wenig über bestimmte Dinge ärgerte.
 

Tarantino1980

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Da der Film bald auf Blu-ray rauskommt, ist schon vorbestellt, werde ich definitiv eine Zweitsichtung machen. Meine damalige Meinung zum Film von 2012 ist so ausgefallen

Tarantino1980 schrieb:
Obsession (Schwarzer Engel)
Ich bin etwas hin und her gerissen. Es gab Dinge die mir am Film sehr gefallen haben. Ein toller Score, sehr stimme Locations, düstere Amtomsphäre udn stimmige Bilder. Dann aber auch wieder Dinge dir mir nicht gefallen haben wie eine sehr vorhersehbare Story, leider zuviele Ähnlichkeiten mit einem gewissen Hitchcockklassiker der im direkten Vergleich für mich einfach um Welten besser ist.

Wertung: 7/10
 

Tarantino1980

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Aber den Film gibt es in Deutschland doch bereits seit 2017 auf Blu-ray. Oder meinst du du UHD?

Okay, peinlich. :o :-o Ich habe ihn tatsächlich mit Sisters verwechselt! Der kommt jetzt im Juli im Mediabook raus. Schwarzer Engel steht schon auf Blu-ray in meiner Sammlung. Dann werde ich hier mal in nächster Zeit eine Sichtung machen!
 

Tarantino1980

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So das hat mir keine Ruhe gelassen und als Buße das ich die Beiden Filme verwechselt habe, asche auf das Haupt eine leidenschaftlichen Fan von Brian De Palma, habe ich mir dann direkt heute Obsession (Schwarzer Engel) angeschaut und ich habe es nicht bereut.

Ich greife meiner Wertung etwas vorweg, er ist in meiner Gunst gestiegen. Ich wusste ja jetzt das der Film sehr an Vertigo angelegt ist, also habe ich diesen Kritikpunkt ausgeblendet und habe mich auf den Film als solches konzentriert. Und das war auch eine sehr gute Entscheidung. Hinzukommt das die Erstsichtung im Jahr 2012 war, da war ich noch kein Ehemann und kein Vater. Dieser Aspekt hat sich seitdem in meinem Leben verändert daher hat mich der Anfang wirklich tief erwischt, hatte ich so nicht mehr in Erinnerung. Die Feier im Haus von Michael Courtland wie er liebevoll mit seiner Frau und Tochter tanzt hat mich wirklich berührt und es war für mich ein tiefer Schlag in den Magen als dann vermeintlich beide gestorben sind und er vor dem Grab seiner beiden wichtigsten Frauen stand. Das sind so Momente die man sich als Ehemann und Vater nie wirklich vorstellen will das sowas passieren könnte.

Auch den Score hatte ich nicht so stark in Erinnerung, hat mich auch diesmal positiv überrascht. Natürlich kam ich dann relativ schnell wieder auf den ursprünglichen Story Twist, aber konnte es ausblenden und habe mich an der sehr schönen Inszenierung des Filmes erfreut. Sehr schöne Bilder mit diesem tollen Score, die mich einfach nur in ihren Bann gezogen haben. Was ich auch noch sehr stark fand war die Änderung des Looks. Die ersten Minuten des Filmes wirkten wirklcih wie ein schöner Liebesfilm aus den 50er Jahren und dann, als der Zeitsprung kam, fand man sich in einem schönen 70er Jahre Setting wieder. Auch das hatte ich so nicht mehr in Erinnerung.

Auch das Bild der Blu-ray ging in Ordnung. Es gab ein paar Unschärfen, aber im großen und ganzen fand ich es gut.

Ein toller Film auch wenn das Ende nicht so mutig umgesetzt wurde wie es geplannt war und die Hochzeit/Hochzeitsnacht Sequenz in der fertigen Schnittfassung als Traum von Michael dargestellt wurde, hat mich der Film gut unterhalten und war auch so schon heftig genug für mich. Ein gutes Beispiel dafür das man Filme immer wieder mit Abstand mal sehen sollte. Er ist für mich persönlich gewachsen!

Wertung: 8.5/10
 

Willy Wonka

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So das hat mir keine Ruhe gelassen und als Buße das ich die Beiden Filme verwechselt habe, asche auf das Haupt eine leidenschaftlichen Fan von Brian De Palma, habe ich mir dann direkt heute Obsession (Schwarzer Engel) angeschaut und ich habe es nicht bereut.

Das ging jetzt wirklich schnell. :D

Hinzukommt das die Erstsichtung im Jahr 2012 war, da war ich noch kein Ehemann und kein Vater. Dieser Aspekt hat sich seitdem in meinem Leben verändert daher hat mich der Anfang wirklich tief erwischt, hatte ich so nicht mehr in Erinnerung.

Das kann ich mir gut vorstellen. Filme können eine andere, intensivere Wirkung entfalten, wenn man bestimmte Situationen emotional besser nachvollziehen kann, weil es mehr Überschneidungen mit dem eigenen Leben oder den eigenen Erfahrungen gibt.

Auch den Score hatte ich nicht so stark in Erinnerung, hat mich auch diesmal positiv überrascht. Natürlich kam ich dann relativ schnell wieder auf den ursprünglichen Story Twist, aber konnte es ausblenden und habe mich an der sehr schönen Inszenierung des Filmes erfreut.

Im Detail konnte ich es bei der ersten Sichtung nicht vorausahnen, aber das John Lithgow Dreck am Stecken hat, war irgendwie klar. Das war für mich schon sehr offensichtlich.

Sehr schöne Bilder mit diesem tollen Score, die mich einfach nur in ihren Bann gezogen haben. Was ich auch noch sehr stark fand war die Änderung des Looks. Die ersten Minuten des Filmes wirkten wirklcih wie ein schöner Liebesfilm aus den 50er Jahren und dann, als der Zeitsprung kam, fand man sich in einem schönen 70er Jahre Setting wieder. Auch das hatte ich so nicht mehr in Erinnerung.

Dem kann ich nur zustimmen. Die Ästhetik hat mir auch sehr gefallen und ist für mich auch eine der Stärken des Films.
 
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