Wiegenlied für eine Leiche

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Filmgott
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Filmkritiken
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Wiegenlied für eine Leiche

„Hush…. Hush, Sweet Charlotte“

1964 drehte Robert Aldrich einen Psychothriller, der auch heute noch begeistern kann.

Charlotte, gespielt von Bette Davis, lebt 1927 in einem Herrenhaus in Louisiana und hat eine Liebesaffäre mit einem verheirateten Mann (Bruce Dern) aus der Nachbarschaft, was Charlotte’s Vater missbilligt. Er verlangt, dass der Liebhaber am Abend, am Rande eines großen Festes, die Beziehung beendet und seiner Tochter den Laufpass gibt. Doch es kommt anders, denn der Geliebte wird ermordet, und Charlotte erscheint verstört und mit blutverschmiertem Ballkleid auf der Tanzfläche.

37 Jahre später, im Jahr 1964, lebt Charlotte zusammen mit ihrer Haushälterin Velma immer noch im gleichen Herrenhaus, welches ihr kürzlich enteignet wurde, um einem Straßen- und Brückenbau Platz zu machen. Seit der Nacht, in dem der Mord geschah, steht Charlotte in der Bevölkerung des kleinen Ortes im Verdacht, die Mörderin zu sein. Es erfolgte damals jedoch keine konkrete Aufklärung und Verurteilung. Insofern wird das Haus und ihre mittlerweile verhärmte und als leicht verrückt geltende Bewohnerin immer noch von dieser Gruselgeschichte umrankt und Kinder machen es sich zur Mutprobe, das Haus zu betreten. Charlotte möchte ihr Elternhaus nicht aufgeben und ruft ihre Cousine Miriam (Olivia De Havilland) zu Hilfe, um sich gegen den Abriss des Hauses zu wehren. Miriam sieht jedoch keine Möglichkeit, sich gegen den Beschluss der Straßenplaner durchzusetzen und appelliert an Charlotte’s Vernunft, das Haus aufzugeben. Neben ihr tritt auch der befreundete Arzt, Dr. Bayliss (Joseph Cotten), in Erscheinung, der Miriam aus jungen Jahren kennt und sie nach vielen Jahren wiedersieht.

Eine weitere erwähnenswerte Figur ist ein älterer Vertreter der Londoner Lebensversicherung des damals Ermordeten, der in den Ort kommt, weil er sich wunderte, dass die Versicherungsprämie nie angefordert wurde.

Weitere Ausführungen zum Inhalt spare ich mir, da man am besten nicht mehr wissen sollte, wenn man den Film zum ersten Mal sieht. Ich warne daher auch davor, den Covertext der DVD/Blu-ray zu lesen, wenn man die Erstsichtung noch vor sich hat, wenn auch der geübte Filmfreund sicherlich den Plot relativ früh erahnen kann, weil es seither Filme mit ähnlichen Geschichten gab.

Der S/W-Film zeigt für die damalige Zeit relativ drastische und explizite Gewalteinlagen bzw. Gruseleffekte, die das damalige Publikum sicherlich überrascht haben dürften. Meines Ermessens hat sich Regisseur Aldrich auch ein wenig an Hitchcocks „Psycho“ orientiert, der bereits vier Jahre zuvor in die Kinos kam. Sowohl bei der Ermordung des Geliebten als auch bei einer Kameraeinstellung im Herrenhaus, in der man das Treppenhaus aus der Vogelperspektive aufgenommen hat, erinnerten mich an „Psycho“.

Überhaupt ist die Kamera positiv hervorzuheben, was sich auch in einer von insgesamt 7 Oscar-Nominierungen niederschlug. Gleichwohl hat der Film aber keinen der Oscars gewonnen. Lediglich die Darstellerin der Haushälterin Velma, Agnes Moorehead, gewann damals verdient einen Golden Globe als beste Nebendarstellerin.

Frank De Vol komponierte die ebenfalls Oscar-nominierte Musik, wobei vor allem das Hauptthema in Form des Liebesliedes „Hush…..Hush, Sweet Charlotte“ sehr einprägsam ist. Charlotte’s Geliebter hatte dieses Lied geschrieben und ihr auch in Form einer aufklappbaren Spieluhr geschenkt. Charlotte trauert nach fast vier Jahrzehnten immer noch sehr ihrem damaligen Geliebten nach und hört immer wieder diese Melodie.

Bette Davis ist die perfekte Darstellerin der einstigen Südstaatenschönheit und der späteren, verschrobenen Alten. Rollen wie diese haben sie berühmt gemacht. „Wiegenlied für eine Leiche“ galt als Folgewerk zu Robert Aldrich’s „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“, in dem sie zwei Jahre zuvor an der Seite von Joan Crawford eine ähnliche, ebenfalls sehr sehenswerte, Rolle spielte.

Mich beeindruckte der Film schon in meinen Jugendjahren nachhaltig, als dieser im Spätprogramm der ARD an einem Samstagabend gezeigt wurde. Seither habe ich den Film mindestens noch 5-mal gesehen, wobei gerne noch weitere Sichtungen folgen dürfen.

10/10
 
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