The Limits Of Control

Despair

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AW: The Limits Of Control

The Limits Of Control

Ein Mann begibt sich für seinen Auftraggeber auf eine Reise nach Spanien. Seine Anweisungen erhält er durch mysteriöse, auf kleinen Papierschnipseln festgehaltene Botschaften, die ihm von unterschiedlichen Kontaktleuten mithilfe von Streichholzschalten, die auch als Erkennungszeichen zu dienen scheinen, zugesteckt werden. So bewegt er sich von Station zu Station auf seinen finalen Zielort zu, um seinen Auftrag zu erfüllen.

Eine Geschichte, die durchaus für einen konventionellen Thriller taugen würde. Ein Blick auf die Person auf dem Regiestuhl gibt aber eine andere Marschrichtung vor: Jim Jarmuschs Filme sind alles Mögliche, konventionell allerdings nie. In diesem Fall ist er möglicherweise etwas über das Ziel hinausgeschossen, da eine greifbare Story nicht existiert. Die obige Inhaltsangabe ist der komplette Inhalt des Films. Natürlich nur auf den ersten Blick, denn der Interpretationsspielraum ist gigantisch. Und die Lust auf Interpretation seitens des Zuschauers ist hier ein absolutes Muss.

Optisch hat mich „The Limits Of Control“ an französische oder italienische Filme aus den 70ern erinnert. Elegante Kleidung, riesige Sonnenbrillen, Straßencafes und verwinkelte Gässchen erzeugen eine ruhige, angenehme Urlaubsatmosphäre. Die Moderne wird im Laufe des Films immer weiter zurückgefahren, der Weg des einsamen Mannes führt in immer ländlichere Gegenden. Die Charaktere sind zu jedem Zeitpunkt mysteriös: sie halten verwirrende Monologe über hochtrabende Themen, die der Lone Man mit stoischer Miene über sich ergehen lässt, nur um dann die nächste Streichholzschachtel in Empfang zu nehmen und seinen Auftrag weiterzuverfolgen. Selbst eine nackte Frau in seinem Bett, die ihn mit eindeutigen Angeboten lockt, kann ihn nicht von seinem Ziel abbringen. Einzig eine (in ausgiebiger Länge dargebotene und ungewohnt düstere) Flamenco-Vorstellung ringt ihm ein kurzes Lächeln ab.

Symbolik und Figuren erinnern nicht selten an David Lynch, allerdings ohne die für ihn typische fiebrig-düstere Atmosphäre, die man aus „Lost Highway“ oder „Inland Empire“ kennt. Ausgeblieben sind bei mir bei Jarmuschs Werk die Aha-Effekte, die den Zuschauer bei einem Lynch-Film mal mehr, mal weniger ereilen: die Momente in denen man glaubt, Zusammenhänge zu erkennen. Solche Geistesblitze sind mir bei „The Limts Of Control“ leider nur selten gekommen, und ihre Richtigkeit wurde im späteren Verlauf auch nicht bestätigt. So kam mir die Hauptfigur wie ein Mann vor, der in seinem monotonen (beruflichen) Alltagstrott feststeckt und auf keinerlei Ablenkungen reagiert. Darauf deuten die unbewegliche Miene, die korrekte Kleidung und die Wortkargheit des Lone Man hin. Demgegenüber stehen wortgewandte, künstlerisch bis abgehoben wirkende Typen, die auf ihn einreden, aber keinerlei Eindruck zu hinterlassen scheinen und meist so schnell wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Möglicherweise hat der Lone Man aber auch nur seine ganz persönliche Sicht der Dinge und lässt sich von keiner anderen Sichtweise beeinflussen. Eine genaue Aufklärung kann wohl nur Jim Jarmusch geben. Sofern sie überhaupt existiert. Im Endeffekt ist das aber eher unwichtig, da der Film wohl mehr Kunstwerk als Erzählung sein will und ebenso betrachtet werden sollte.

Fazit: „The Limits Of Control“ ist selbst für Jarmusch-Verhältnisse ein schwerer Brocken, da quasi den ganzen Film über wenig bis nichts passiert. Und trotzdem entsteht eine Atmosphäre latenter Spannung, die bis zum undurchsichtigen Ende erhalten bleibt. Eine plausible Erklärung der Geschehnisse sollte man aber nicht erwarten. Trotzdem (oder gerade deswegen) springt nach dem Filmgenuss sofort das Kopfkino an. Man versucht, das Gesehene zu ergründen und landet vielleicht eher auf einem dürren Ast als auf dem sprichwörtlichen grünen Zweig. Aber selbst dann kann man sich fast zwei Stunden lang an abgefahrenen Kamerafahrten und -winkeln, malerischen Landschaftsaufnahmen, der stimmigen Sounduntermalung (u. a. von der Drone-Band Boris) und dezent agierenden, aber ausdrucksstarken Schauspielern erfreuen. „The Limits Of Control“ ist sozusagen die Antithese eines Michael Bay-Films. Und wer weiß schon, welche Person Bill Murrays Charakter genau verkörpern soll..? *akte x-melodie pfeif* ;)

7,5/10 Punkte
 

Eclipsed

Filmgott
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AW: The Limits Of Control

Super Kritik, die ich so unterschreiben würde, wenn da nicht die Wertung wäre: denn von mir gibt es eine klare 10/10! ;)
Warum? Die von dir angesprochenen Bilder, gehören zu den schönsten, die man in den letzten Jahren zu Gesicht bekam. Allein diese elegant inszenierte Sequenz, die die letztendliche Ausführung des Auftrags zeigt.
Dann die Monologe, die, vielleicht nicht am Wortwitz sondern an der Substanz gemessen, einen Tarantino vor Neid erblassen lassen. Als über Filme philosophiert wurde, offenbart sich die ganze Metaebene, die aber den ganzen Film durchzieht. Es wird mit Genres und Referenzen gespielt, die man evt. gar nicht als solche erkennt, in der "Nacharbeitung" des Films jedoch zu genüsslichen "Aha"-Erlebnissen führen. Diese unendlichen Möglichkeiten der Interpretation, die Jarmusch allgemein und The Limits Of Control im Speziellen, oft als prätentiös ausgelegt werden, sind für mich der Nährboden eines Meisterwerks.
Dass ich mit meiner drastischen Wertung relativ allein dastehe, ist mir bewusst, bringt mich aber nicht dazu meine Ansicht zu überdenken! ;)
 

Despair

Filmvisionaer
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AW: The Limits Of Control

Super Kritik, die ich so unterschreiben würde, wenn da nicht die Wertung wäre: denn von mir gibt es eine klare 10/10! ;)

Danke. Meine Wertung dürfte sich allerdings höchstens unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Substanzen nach oben verändern. :D

Als über Filme philosophiert wurde, offenbart sich die ganze Metaebene, die aber den ganzen Film durchzieht. Es wird mit Genres und Referenzen gespielt, die man evt. gar nicht als solche erkennt, in der "Nacharbeitung" des Films jedoch zu genüsslichen "Aha"-Erlebnissen führen. Diese unendlichen Möglichkeiten der Interpretation, die Jarmusch allgemein und The Limits Of Control im Speziellen, oft als prätentiös ausgelegt werden, sind für mich der Nährboden eines Meisterwerks.

Bleib' mir weg mit dieser Metaebene, damit konnte ich noch nie etwas anfangen. Das ist mir einfach zu philosophisch verquast. Ich mag zwar Filme, die viel Platz für Interpretationen bieten, aber in diesem Fall hat es Jarmusch etwas übertrieben. Klar erschließt sich einem der Film eher, wenn man ihn einer bestimmten Thematik zuordnen kann (wie eben dem Filmbusiness, dann wäre Murray wohl tatsächlich Michael Bay), aber während des Schauens wäre ich da nie drauf gekommen. Tilda Swintons Kommentar zu Filmen war für mich eher ein Beispiel für unterschwellig eingebrachten Humor. Man könnte den Film wohl sogar als Kritik am übertrieben verkopften Kunstfilm interpretieren, soviel Spielraum lässt er. :D

Das klingt jetzt wohl negativer, als es gemeint ist - mir hat der Film ja relativ gut gefallen. Ein klein wenig mehr Drive und Handlung hätten aber nicht geschadet. Ich hätte meine Aha-Erlebnisse gerne auch ohne Vorkenntnisse beim Schauen erlebt, anstatt beim Nachforschen danach. Mir bleibt einfach vieles handlungstechnisch zu offen. Deswegen kommt der Film meiner Meinung nach an Lynchs Meisterwerke nicht ran.
 

Eclipsed

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Bleib' mir weg mit dieser Metaebene, damit konnte ich noch nie etwas anfangen. Das ist mir einfach zu philosophisch verquast.

Philosophie sehe ich hier selber nur begrenzt...wenn dann eher asiatische, aber mit der kenne ich mich zu wenig aus, als dass ich jetzt da meinen Spaß dran hätte (auch wenn ich "He who thinks he is bigger than the rest must go to the cemetery. There he will see what life really is: a handful of dirt." immer noch extrem spannend finde...da findet man nämlich echt hunderte Interpretationen)!
Ich meinte jedenfalls eher eine film- und genrehistorische Metaebene! :)
 

Despair

Filmvisionaer
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Ich meinte jedenfalls eher eine film- und genrehistorische Metaebene! :)

Ich mag den Begriff in keinem Zusammenhang. Ich finde ihn irgendwie schwer greifbar, auch wenn mir die Bedeutung im Grunde klar ist. Außerdem erinnert er mich an eine unselige Debatte, die vor nicht allzu langer Zeit geführt wurde und durch diesen Artikel ausgelöst wurde. Aber das hat mit dem Film jetzt rein gar nichts zu tun. :D

Was mir allerdings nach dem Schreiben aufgefallen ist: warum ist ausgerechnet bei diesem scheinbar inhaltsleeren Film meine bisher längste Kurzkritik herausgekommen? Weil eben doch viel mehr drinsteckt, als man auf den ersten Blick vermutet. Trotzdem verspüre ich momentan keinen Drang - im Gegensatz zu diversen Lynch-Filmen - ihn mir ein zweites Mal anzusehen. Deswegen auch meine nicht ganz so hohe Wertung.

Was mich aber interessieren würde: bekommt man von der Handlung vielleicht mehr mit, wenn man Spanisch versteht? Den Spruch hinten auf dem Pickup konnte ich mir noch zusammenreimen, aber den Monologen konnte ich leider nicht ganz folgen. :D
 

Vince

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Nanu, ich bin etwas verwirrt. Ich war der festen Überzeugung, ich hätte meine kritik hier schon mal eingestellt und Willy hätte geantwortet, es sei eine gute Kritik, er habe nur einmal das Wörterbuch zur Hand nehmen müssen. :D

Bevor ich die aber jetzt nochmal poste, für Interessierte einfach nur der Link, das reicht dann auch.
http://www.ofdb.de/review/166016,449327,The-Limits-of-Control

Außerdem erinnert er mich an eine unselige Debatte, die vor nicht allzu langer Zeit geführt wurde und durch diesen Artikel ausgelöst wurde. Aber das hat mit dem Film jetzt rein gar nichts zu tun. :D

Trotzdem ganz kurz: Gibts die Debatte irgendwo nachzulesen? Der Verfasser schreibt mir nämlich voll und ganz aus dem Herzen. Wenn ich Spielekritiken durchgelesen habe, ist mir der Gedanke gerade im Vergleich zur Film- und Musikkritikszene auch schon mehrmals gekommen.

Zum Film und zum Thema "Metaebene": Ich setz mich zwischen die von euch aufgestellten Stühle. Die Metaebene an sich kann etwas Tolles sein, allenfalls der Begriff geht mir ebenfalls inzwischen wegen Vielgebrauch auf die Nerven. Aber er ist ein Rätsel, das es zu lösen gilt, eine Einladung zur Durchdringung der schnöden Oberfläche. Wer die Metaebene erkennt, darf sich sozusagen über eine Welt erfreuen, die sich ihm höchstpersönlich offenbart. Und "Limits Of Control" hat massig davon. ABER auch mir war der Film etwas zu dröge, bürdet dem Zuschauer zu viel auf; trotzdem ist mir sowas lieber vieles, was sonst auch gerne mal als "Meisterwerk" bezeichnet wird.
 

Despair

Filmvisionaer
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Trotzdem ganz kurz: Gibts die Debatte irgendwo nachzulesen? Der Verfasser schreibt mir nämlich voll und ganz aus dem Herzen. Wenn ich Spielekritiken durchgelesen habe, ist mir der Gedanke gerade im Vergleich zur Film- und Musikkritikszene auch schon mehrmals gekommen.

Ich stimme ihm größtenteils auch zu. Heiße Debatten wurden an mehreren Stellen geführt. Ich habe sie hauptsächlich bei GamersGlobal verfolgt. Oder auch hier. Da flogen zum Teil ganz schön die Fetzen. :D
 
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