Ein großer graublauer Vogel

Willy Wonka

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Ein großer graublauer Vogel


Das Spielfilmdebüt von Thomas Schamoni (Mitbegründer des Filmverlags der Autoren und Bruder von Ulrich und Peter Schamoni) kann man als ein Kuriosum der deutschen Filmgeschichte bezeichnen. So wild, verspielt und ironisch kann ein deutscher Film sein, der das damalige wie heutige Krimi- und Thriller-Genre virtuos ad absurdum führt. Die Handlung über die Entschlüsselung einer Geheimformel, die in ein Gedicht kodiert wurde, wovon verschiedene alte Wissenschaftler je einen Vers kennen, ist nicht nur das narrative Grundgerüst für einen abstrusen Film, sondern bietet auch den Anlass, das Genre des Spionage- und Detektivfilms vorzuführen. Der Film enthält ein Potpourri aus verschwurbelten Manierismen der Genres: Mysteriöse alte Herren, Männer in Anzügen mit Brillen, poetisch-wirre Dialoge, die den Eindruck erwecken, dass die gesprochen Worte kodiert sind, ständiges Spähen und heimliches Filmen sowie die anschließende Auswertung des gefilmten Materials, dazu eine unkonventionelle Montage mit vielen Jump Cuts.

Die Protagonisten des Films palavern sich um Kopf und Kragen, produzieren nur heiße Luft und als Zuschauer weiß man nach einer halben Stunde nicht mehr wo vorne und hinten ist. Das zieht sich bis ans Ende des Films durch, bis man genretypisch mit einem Finale belohnt wird, wo auch noch kurz ein Auto explodieren darf. So weit, so stilisiert.

Neben der bewusst überkomplizierten Darstellung der Handlung, die man zumindest bei der ersten Sichtung beim besten Willen nicht zu entschlüsseln vermag, bleibt auch die Frage offen, ob Schamoni mit „Ein großer graublauer Vogel“ das Genre des Spionage- und Detektivfilms lustvoll persifliert oder demontiert. Da der Film sich fast durchweg ernst nimmt und wenig Humor bietet, macht er es dem Zuschauer nicht leicht ihn zu goutieren. Vor allem hat man als Zuschauer den Drang einer narrativen Handlung folgen zu wollen, aber Schamoni weiß diesen bewusst mit seiner Überfrachtung an Ton-, Bild- und Montageeffekten und der zuweilen elliptischen Erzählweise dieses meisterhaft zu konterkarieren. Das hat zur Folge, dass man nach einer Stunde entweder vollkommen genervt den Film abbricht (à la „Was ist denn das für ein Scheiß?“) oder sich stattdessen mit anderen Aspekten des Films beschäftigt, wie den selbstreflexiven Bezügen, der Einbettung und bewussten Überdehnung von Klischees oder - allgemeiner gesprochen - mit der verstörenden Atmosphäre eines Außenseiter-Films.

Wenn man den Film heute ein wenig aus seinem Kontext reißt, ihn nicht als krudes Erbe von Dr. Mabuse und den Edgar-Wallace-Verfilmungen deutet, ihn nicht nur in Verbindung mit den frühen Gangsterfilmen der Nouvelle Vague setzt, sondern ihn im aktuellen Post-Moderne-Zirkus von Hollywood verortet, wirkt Thomas Schamonis „Ein großer graublauer Vogel“ wie ein früher, ungeschliffener Gehversuch die alten Genre-Traditionen aufzugreifen und diese in ein unterhaltsames, großes Nichts zu verwandeln. Der zelebrierte Nihilismus, das ewige Palavern, die besungenen Magic Mushrooms der deutschen Krautrock Band Can sind im Ansatz gar nicht weit von Terry Gilliams „Fear and Loathing in Las Vegas“ entfernt, wo ebenfalls wild ermittelt wird und der Zuschauer durch verschiedene Grade der Realität wandert, um auf ein großes Nichts zuzusteuern. Mit dem Unterschied, dass Gilliam die Unterscheidung von Rausch und Wirklichkeit noch wesentlich deutlicher ausstellt, als es bei Schamoni der Fall ist, der uns prinzipiell sogar im Unklaren lässt, ob man überhaupt eine Unterscheidung zwischen paranoiden Irrglauben und Wirklichkeit vornehmen sollte. Schamoni verweigert sich dem Konventionellen, der Narrative, um nur noch Abziehbilder der Genre-Paradigmen auszustellen. Der Reminiszenzen- und Zitate-Zirkus und der lässige Gestus der Inszenierung könnte hier sogar ein Vorbild für Guy Ritchie gewesen sein, der ebenfalls die Konventionen des Gangster-Genres in seinem überdreht-überfrachteten „Revolver“ überbetont, auslotet und ebenfalls lieber das Geschehen komplex als plakativ für den Zuschauer erfahrbar macht. Doch bei Ritchies Filmen fügt sich am Ende alles wieder zusammen, ergibt irgendwie einen Sinn. Zumindest im diegetischen Universums von Ritchies Filmen. Bei Schamoni ist das nicht der Fall. Zumindest nicht für Einsteiger in Schamonis Universum.

Trotz aller Vergleiche und provisorischen intertextuellen Bezügen lässt sich Schamonis Werk nicht recht einordnen. Der Film bleibt ein rohes, selbstreferentielles Vexierspiel mit Gangsterfilm-Attitüde, das für den Zuschauer schwer fassbar bleibt.
 
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