Ich muss gestehen, eben weil ich schon einiges positives über den Film gehört hatte, war meine Erwartungshaltung generell schon hoch. Aber aus bereits erwähnten Gründen, hatte ich sie selbst etwas für mich gedämpft, da es sich trotz allem um einen Stummfilm handelt.
Bevor ich weiter ins Detail gehe möchte ich aber hier etwas ganz dick unterstreichen. Der Film ist ein absolutes Meisterwerk vor dem Herrn!
Alfred Hitchcock hat es selbst gesagt, es war der erste richtig Hitchcock und das merkt man dem Film auch in jeder Szene an! Seine Handschrift war hier mehr als nur deutlich erkennbar und wenn man dann noch bedenkt das wir das Jahr 1927 schreiben und es sozusagen sein Debüt Film war, kein Wunder das dieser Mann diese Karriere hingelegt hat.
Die Bevölkerung ist in Panik. Zeitgleich versucht die Familie Bunting, die in der Nähe der mörderischen Gegend wohnt, ein Zimmer zu vermieten. Dort meldet sich eines Abends ein seltsamer Mann, der das Zimmer gerne hätte. Auch wenn der Sonderling eher argwöhnisch gemustert wird, bekommt er das Zimmer. Doch als er Dienstag nachts das Haus verlässt und am nächsten Morgen wieder eine Leiche gefunden wird, ist Familie Bunting schnell im Schatten des Zweifels.
Wie immer habe ich auch hier versucht mich vor der Sichtung möglichst wenig bis garnicht zur Handlung zu spoilern, was mir auch zum Glück gelungen ist! Also habe ich, wie damals sicherlich auch sehr viele Kinozuschauer, den Lodger für den Rächer gehalten. Bei mir kam dann aber noch ein Aspekt hinzu der eigentlich dagegen sprach. Ich habe mir nämlich innerlich dann mit zunehmender Laufzeit die Frage gestellt wenn Hitchcock hier wirklich 1927 eine Serienmörder Film inszeniert hätte in dem der Mörder als symphatischer Mensch dargestellt worden wäre, wäre mir dies bestimmt irgendwo, obwohl ich den Film bis heute noch nicht kannte, schonmal über den Weg gelaufen da ich mich ja bekannterweise sehr für Thriller und Filme über Serienmörder interessiere.
Interessanter Weise, wie - zumindest ich - aus den Worten aus dem Interview zwischen Truffaut und Hitchcock heraus gelesen habe, hat er zumindest mit dem Gedanken gespielt hat
Ivor Novello in seiner Version der Geschichte zum Mörder zu machen bzw. ein Ende mit der Frage "War er es oder war er es nicht" zu inszenieren. Aber, auch auf die Gefahr hin das ich mich wiederhole, der Film kam 1927 raus, und Hitchcock sagte es auch selbst, das hätten die Produzenten ihm niemals genehmigt, noch dazu weil
Ivor Novello ja auch noch wie der Sterotyp des strahlenden Helden aussah, also konnte er ja nicht der Schurke in dieser Geschichte sein. Hier hat sich dann offenbar
Alfred Hitchcock noch den gesellschaftlichen und branchenüblichen Konventionen gebeugt, was ich auch absolut nachvollziehen kann. Zumal es ja auch erst sein dritter Spielfilm war und er hier noch nicht den Einfluss besessen hatten den er später hatte. Dennoch zeigt es sehr stark, alleine das er diese Möglichkeit in Betracht gezogen hat, wie revolutionär und genial dieser Mann war. Also im Grunde, auch wenn es leider dann nicht so war, hat Hitchcock 1927 die Blaupause für den Serienkiller den niemand verdächtigt hätte, erschaffen. Das finde ich absolut bemerkenswert!
Nur Daisy, die Tochter des Hauses hat an dem jungen Mann Gefallen gefunden, der nicht nur irgendwie seltsam, sondern auch anscheinend sympathische Züge aufweist. In jedem Fall hat er aber etwas zu verbergen, denn in seinem Zimmer hängt er die Bilder von blonden Frauen ab und zusätzlich hat er eine seltsame Tasche bei sich, die er wie seinen Augapfel hütet. Ein weiteres Problem sind die Haare von Daisy: Sie ist blond gelockt und somit ein perfektes Opfer für den Killer…
Auch hier muss man Hitchcock einfach erneut ein großes Kompliment ausprechen. Die Chemie zwischen
June Howard Tripp und
Ivor Novello hat mir richtig gut gefallen. Obwohl hier kein Wort gewechselt wurde hat man förmlich die Gefühle zwischen den beiden Charakteren gespürt und die Wörter gehört, obwohl es keine gab. Ich fand die Szenen auf der Bank mit der Laterne einfach phänomenal inszeniert. Sozusagen bei Ihrem ersten Date, als beide dann von ihrem eifersüchtigem "noch" Freund erwischt wurden als sie sich gerade noch näher kommen wollten, aber dann besonders natürlich auch in der Schlussequenz als er dann auf der Flucht war und sie sich rührend um ihn gesorgt hat und ihn auch völlige zu recht für unschuldig hielt, noch bevor er ihr dann seine Seite der Geschichte erzählte und somit dann auch vieles klar wurde. Im übrigen fand ich auch das sehr stark die Rückblende so ausführlich in den Film mit einzubeziehen. Aus heutiger Sicht kein großes Ding, aber damals kann ich mir schon vorstellen das Hitchcock mit einigen Sequenzen die Sehgewohnheiten des damaligen Kinopublikums arg strapaziert bzw. vor neue Tatsachen gestellt hat.
Seinen dritten Spielfilm, nannte Hitch selbst den ersten Hitchcock-Film, was irgendwie auch stimmt. Lieferte „The Pleasure Garden“ zwar bereits in der Narrativen einige seiner typischen Merkmale, zieht nun Suspense in sein Werk ein. Leider ist „Der Bergadler“ nach wie vor verschollen, weshalb man den Zwischenschritt nicht beurteilen kann. Allerdings befand Hitchcock den „Bergadler“ selbst als schlecht. „Der Mieter“ hingegen ist eine Granate. Ganz deutlich vom deutschen Stummfilm beeinflusst, gibt es hier ein wundervolles Licht- und Schattenspiel. Zudem liefert er hier schon fantastische Kameraperspektiven, die einen sofort in freudiges Staunen versetzen. Gerade die Szenen mit der Treppe, egal aus welchem Winkel fotografiert, sind einfach spitzenmäßig. Nur die „entfesselte Kamera“ von Murnau nutzte er zu diesem Zeitpunkt noch sehr wenig. Dafür setzt er hier aber bereits andere Zeichen.
Mir viel es hier auch deutlich leichter der Handlung zu folgen und die einzelnen Charaktere einzuordnen. Ich könnte jetzt natürlich behaupten ich hätte eine sehr schnelle Lernkurve, aber ich behaupte einfach mal das es sehr stark an der genialen Regiearbeit von Hitchcock lag! Im Grunde, bis auf einen sehr minimalen Kritikpunkt auf die ich noch zu sprechen komme, war es für mich nicht nur ein absoluter genuss den Film zu sehen, es viel mir auch recht schnell garnicht mehr auf das es ein Stummfilm war. Irgendwie ist es auch schön sich an Hand des Schauspiels der Darsteller die Dialoge zu denken! Wobei ich ehrlich bin, das ich es mir schon interessant vorstellen kann hier die Fähigkeit des Lippenlesens zu besitzen. Wobei vielleicht auch nicht, weil das es keine Texte für die Darsteller gab, wer weiß was sie wirklich am Set gesprochen haben.
Das schattige Kreuz im Gesicht des Hauptdarstellers ist einfach fantastisch, wie auch der „Glasboden“, durch den man den Mieter beobachtet. Auch die Bildmontage um Suspense zu erzeugen, die Hitchcock später immer wieder verwendete, ist hier bereits zu sehen. Er zeigt zwei Stränge und verbindet sie, sodass der Zuschauer einen Schritt voraus ist und somit weiß, das Gefahr im Anmarsch ist, während die beiden Protagonisten noch nichts wissen.
Auch hier muss man im Grunde als Filmfan und als Hitchcock Fan einfach nur bewundernd staunen was Hitchcock hier so früh schon abgeliefert hat! Die von Dir benannten Beispiele sind mir auch aufgefallen im Film und ich fand sie gigantisch!
Es gibt für mich aber noch eine weitere Bildkomposition die sich ab sofort in mein Filmauge eingebrant hat und die ich so als Bild einfach nur gigantisch fand. Ich spreche hier auf die Szene an in der "The Lodger" mit den Handschellen am Zaun hing und kurz davor war von dem Lynchmop überrollt zu werden. Diese Bildkomposition war für mich einfach überragend, bedrohlich und sehr intensiv.
Sehe ich „Irrgarten der Leidenschaft“ als ein Werk an, das man gesehen haben sollte, spreche ich bei „Der Mieter“ von Pflichtprogramm.
Dem kann ich mich nur anschließen. Ein wirklich beeindruckender Film! Auch wieder eine sehr schöne Mischung zweier Genres, diesmal Krimi und Liebesfilm. Hat mir auch wieder extrem gut gefallen!
Die Blu Ray hat neben „Der Mieter“ noch den Film „Leichtlebig“ zu bieten, weshalb zwei Filme für den Preis von Einem als in Ordnung anzusehen ist. Auf Bonusmaterialien hat man nämlich komplett verzichtet. Hier bleibt zu hoffen, dass sich irgendein Label in Deutschland erbarmt, die US-Variante der Criterion Collection zu übernehmen. Die ist brechend voll mit Zusatzmaterialien und behandelt den Film mit allen Ehren, die ihm gebührt. Die deutsche VÖ ist im Vergleich nur eine Farce. Schade, dass man hierzulande für so eine Veröffentlichung anscheinend kein Publikum hat.
Nun komme ich zu meinen vorhin erwähnten Kritikpunkt. Und zwar die teilweise etwas unpassende Filmmusik. Ich sage mal geschätzt in 80 % des Filmes ging sie für mich absolut in Ordnung und war auch passend. Aber es gab ein paar Szenen wo die, für Stummfilm typische Revue/Bar- bzw. "Klamauk" Musik zum Einsatz kam. Ich weiß leider gerade nicht wie ich es besser umschreiben soll. Ich nehme hierzu einfach mal die Szene als Beispiel wo Daisy in der Modenschau das Kleid präsentierte, welches sie später vom Lodger geschenkt bekam. Hier hätte ich mir einfach nur eine ruhige dezente Klavier begleitung gewünscht, irgend ein klassisches Stück. Aber die Musik die stattdessen verwendet wurde hat mich leider immer mal kurz aus der tollen Atmosphäre dieses Filmes gerissen. Und es passiert leider ein paar mal.
Alleine aus dem Grund überlege ich wirklich ernsthaft, auch wenn die bisher gefundenen Angebote aus der Citerion Collection preislich natürlich sehr extrem sind, sie mir zu holen da neben den von Dir erwähnten Zusatzmaterial wohl der Film auch neu vertont wurde und der neue Score von Neil Brand und vom Orchestra of Saint Paul's eingespielt wurde. Ohne besagte Musik zu kennen klingt es aber auf jeden Fall für mich sehr interessant! Eine
kleine Kostprobe habe ich auf YouTube gefunden, was mich wirklich sehr neugierig macht. Natürlich kann man sich jetzt hier darüber streiten, da es dann natürlich nicht mehr das Werk von Hitchcock in seiner Reinform ist. Andererseits, wer weiß wie Hitchcock ihn ein paar Jahre später vertont hätte. Auf jeden Fall finde ich das schwierig. Wie siehst Du das deadly?
Ansonsten muss man aber wirklich sagen, von dem fehlenden Bonusmaterial der deutchen Blu-ray mal abgesehen, ist das restaurierte Bild von Great Movies hier echt Top. Einen fast 100 Jahre alten Film in der Qualität zu sehen, das ist schon wirklich ein Geschenk!
Natürlich hätte der Film auch hier in Deutschland eine viel bessere VÖ verdient und wer weiß, vielleicht 2027, wenn er dann offiziell 100 Jahre alt ist, kommt auch in Deutschland nochmal was nach, aber um ehrlich zu sein bezweifele ich es etwas, da, so traurig wie es ist, damit kein Geld zu machen ist. Natürlich würde es ein paar Hardcorefans, wie uns beide z.B. geben, die mit Sicherheit sofort zuschlagen würden und bei entsprechendem Bonusmaterial, auch einen gewissen Preis zahlen würden. Aber seien wir mal ehrlich, wieviele Leute würden das in Deutschland bei dem Film machen? Auch wenn es eigentlich ein Armutszeugnis ist würde ich behaupten das ein Label mühe hätte hier zu Lande eine Auflage von ca. 1000 - 2000 Exemplaren zu verkaufen, eben weil es schon eine dt. Blu-ray für unter 10 EUR gibt. Da fehlt mir leider der Glaube das da nochmal viele Leute bereit zu werden einen Preis zwischen 30-40 EUR für auszugeben, was sie mit Sicherheit kosten würde wenn man sich die Arbeit machen würde die Citerion VÖ für den deutschen Markt "umzuwandeln".
Zur Wertung, wie Du Dir sicherlich denken kannst, muss ich hier einfach die Höchstnote vergeben! Und auch wenn es "nur" ein Stummfilm ist, werde ich nach meiner Komplettsichtung ihn sicherlich hoch einordnen müssen, vielleicht sogar ein Kandidat für meine Top 20, aber dazu muss ich einfach die noch ungesehen Filme schauen und viele, die ich bisher erst 1-2 mal gesehen habe, einfach nochmal neu sichten.