Alraune

deadlyfriend

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Alraune

Sie herzte sanft ihr Spielzeug
Bevor sie es zerbrach
Und hatte eine Sehnsucht
Und wusste nicht wonach

Weil sie einsam war
Und so blond ihr Haar
Und ihr Mund so rot wie Wein
Und wer von diesem Wein trank
Konnt' nie mehr glücklich sein

Doch einer sprach im Frühling:
"Auch Du fühlst Lust und Schmerz"
Und brach ihr tausend Rosen
Doch sie brach nur sein Herz


Kontext! Kontext ist oftmals wichtig. Aktuell beschäftige ich mich mit dem deutschen Film der Nachkriegsjahre. Je mehr man davon sieht, desto tiefer gleitet man hinein und findet sich zurecht. Man trifft plötzlich auf alte Bekannte, auf wiederkehrende Gesichter. Gesichter, die man bei lieblosen Einzelsichtungen lediglich registriert, aber nie gefühlt hat.
Unweigerlich trifft man dabei immer wieder auf Hildegard Knef, dem ersten großen Star nach 1945. Schließlich war sie es auch, die die Hauptrolle im allerersten Film nach dem zweiten Weltkrieg, im fantastischen "Die Mörder sind unter uns" spielte. Als Kind war die Knef für mich nur eine merkwürdige alte Frau, die seltsame Lieder sang. Diese Wahrnehmung änderte sich später, nach den ersten zaghaften Begegnungen.
Jetzt, wo sie wiederkehrend auf meinem Bildschirm präsent ist, hat sich das noch einmal komplett verlagert. Ich freue mich regelrecht darauf sie zu sehen. Da es natürlich perfekt passt, habe ich nach meiner Erstsichtung vor 2 Jahren, jetzt auch noch einmal "Alraune" eingelegt, um den Film im oben genannten Kontext zu betrachten.
Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen, die ich in dem Zeitraum gesehen habe, ist dieser aber nicht in Vergessenheit geraten. Gerade das Lied vom einsamen Mädchen ist tatsächlich ein Wegbegleiter geworden. Ein Wegbegleiter von dem ich mir sogar die 7" Vinyl-Single aus dem Jahr 1952 gekauft habe. Dass das Stück wirklich etwas Besonderes ist, zeigt auch, dass Martin L. Gore von Depeche Mode, es für sein zweites Soloalbum gecovert hat und auch dort singt er es in deutscher Sprache.
Da es bereits relativ früh im Film auftauchte, war ich wie durch einen Sog im Film gelandet. Die komplette Musik von Werner Richard Heymann, die auch dieses Lied immer wieder variiert, passt einfach magisch zu den Bildern. Sie hat etwas Sehnsüchtiges. Eine spürbare Melancholie durchzieht die Atmosphäre, ohne dabei in Kitsch zu geraten. Wenn dazu die Bilder in den Gärten und später im Schnee davon eingebettet werden, taucht man tatsächlich in eine andere Welt ab. In die Welt von Alraune.
Ja, mir ging es diesmal ebenso wie den Protagonisten im Film. Kompletter Verfall. Die Augen, oder auch Scheinwerfer, von Hildegard Knef, besitzen einen Bannstrahl, welcher die Protagonisten und auch den Zuschauer lenkt und leitet. Ein wenig vergleichbar mit dem lebenden Boticelli-Engel in "Picknick am Valentinstag".
Dennoch schaffen es Darsteller wie Erich von Stroheim, der hier seine Rolle genauso perfekt verkörpert wie in Billy Wilders Meisterwerk "Sunset Boulevard", aber auch Karlheinz Böhm, nicht komplett in ihrem Licht zu versinken. Traurig dazu auch der erste Auftritt von Julia Koschka, die im Trailer noch als Nachwuchsstar angekündigt wurde. Im Film treibt Alraune sie zu einem Selbstmordversuch. In der Realität vollendete sie ihn dann wirklich. Im gleichen Kleid, welches sie im Film getragen hat.
Die Bilder des Films lassen die Zeit zwischen 1933 und 1945 komplett in Vergessenheit geraten und führen die Filmkunst des deutschen Expressionismus nahtlos weiter. Nur natürlich um famose Dialoge und wundervolle Monologe erweitert. Dabei fallen immer wieder Sätze, die an einem zehren oder die man komplett in sich aufsaugt. Der Film ist sehr elegisch erzählt und auch wenn er gern als Horrorfilm bezeichnet wird, sehe ich ihn eher als eine Art Mystery-Drama. Kann ich den Film empfehlen? Nein! Ich glaube, dafür muss man erstmal die Tür finden und diese eigene Welt ist wahrscheinlich nicht ganz leicht zu ergründen. Vielleicht benötigt man dazu den erwähnten Kontext. Warum schreibe ich dann diese Zeilen, auch wenn ich weiß, dass sie nicht viele Leute lesen, oder sich für den Film interessieren werden? Vielleicht hat mir Alraune das gestern aufgetragen und aus Dankbarkeit, dass sie mir die Tür zu ihrer Welt gezeigt hat, habe ich ihrem Wunsch entsprochen. Vielleicht aber auch nur weil sie einsam war........
 
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