A Cottage on Dartmoor

Russel Faraday

Filmvisionaer
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A Cotttage on Dartmoor


Ein Mann flieht aus dem Gefägnis von Dartmoor und fällt in einem Haus ein, in dem eine junge Mutter mit ihrem Kind lebt. Die Frau schaut den Flüchtling an und ruft seinen Namen: „Joe!“
Rückblende: Joe und Sally (die junge Mutter) arbeiten gemeinsam in einem Friseursalon. Joe ist unsterblich in Sally verliebt. Doch die hat nur Augen für für Harry, einen ihrer treuesten Kunden. Das Unglück nimmt seinen Lauf.

„A Cottage on Dartmoor“ ist ein Stummfilm von 1929, der gedreht wurde, als der Tonfilm bereits auf dem nicht mehr aufzuhaltenden Vormarsch war. „A Cottage on Dartmoor“ ist darüber hinaus auch ein seltsamer Film, der sich nicht so recht entscheiden kann, ob er nun Drama oder Krimi sein will.

Die oben angesprochene Rückblende macht den weitaus größten Teil des Inhalts aus, und genau da liegt das Problem: die Laufzeit von rund 85 Minuten fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Es dauert über eine Stunde, bis überhaupt etwas geschieht, das Interesse beim Zuschauer wecken könnte. Regisseur Anthony Asquith hat leider überhaupt ein Gespür für das, was man heute neudeutsch als Pacing bezeichnen würde. In endlosen Szenen schildert er den Alltag im Frisiersalon: Joes Schmachten, Sallys Ignoranz ihm gegenüber (einem gemeinsamen Abend folgt nichts), ihr langsames Annähern an Harry. Das alles ist viel zu ausführlich, viel zu ausgewalzt und, leider, viel zu uninteressant.

Zentrale Szene des Films ist ein Kinobesuch, der mit einem Konzert beginnt und schließlich in Sichtung eines Tonfilms gipfelt. Auf diese Szene, die die Handlung komplett stagnieren lässt, verwendet man geschlagene zwanzig Minuten. Filmhistorisch bemerkenswert, da man als Zuschauer den Tonfilm zu hören bekommt (in dem Falle übrigens den fiktiven „My Woman“ von Harold Lloyd, basierend auf einem Stück von William Shayspeare – nein, kein Schreibfehler von mir) und doch selbst nichts anderes sieht als das Publikum in eben jenem Kino, das gebannt auf die Leinwand starrt. Wie gesagt: geschlagene zwanzig Minuten.

Großartig ist Hauptdarsteller Uno Henning als verschmähter Joe, der, ohne die stummfilmtypische Schauspieltheatralik zu bemühen, eine bemerkenswerte Vorstellung des glücklosen Liebenden bietet, dessen Sehnsucht sich allmählich in Hass und schließlich Mordgier wandelt. Fantastisch! Dagegen verblassen seine Kollegen Norah Baring als Sally und erst recht Hans Adalbert Schlettow in der undankbaren Gegenspielerrolle des Harry gewaltig, der einfach ein zu großer Unsympath ist, um wirklich verstehen zu können, weshalb sich Sallly zu ihm und nicht dem Kumpeltyp Joe hingezogen fühlt. Er protzt zwar hier und da mit seinem Geld, aber ist alles andere als ein stinkreicher Krösus, daran kann’s also nicht liegen.

Ebenfalls bemerkenswert sind die vielen Spielereien und Gags, die man sich mit der Kamera erlaubt. Nicht nur intensive Schattenspiele (wie die Entdeckung von Joes Flucht durch einen Gefängniswärter zu Beginn des Films, die fast ausschließlich daraus besteht, daß man lediglich Schatten über die Wände huschen sieht), sondern auch einige ausgesprochen originelle Einfälle machen den Film zumindest diesbezüglich sehenswert: als Harry beim Friseur eine Nackenmassage bestellt, die mit einem lustigen Massagegerät durchgeführt wird, wechselt man genau bei dessen Benutzung zur subjektiven Kamera, die nun natürlich nur noch aus vibrierendem Gewackel besteht, was tatsächlich sehr amüsant zu bestaunen ist. Oder das Streitgespräch zweier Frauen, zwischen denen Joe steht und sein Rasiermesser an einem Gürtel wetzt: im nicht untypischen Shot-/Gegenshot-Verfahren sind die Frauen im steten Wechsel zu sehen, Joe immer dazwischen. Das Timing im Schnitt ist hier so perfekt, daß es zu keinem Kontinuitätsfehler in der Bewegung des Rasiermessers kommt. Das dürfte anno 1929 ziemlich schwierig auszutüfteln gewesen sein und macht letzten Endes den großen Reiz dieses ansonsten eher trägen Films aus, da er angefüllt mit solch kleinen Spielereien ist.

Die von mir gesehene Fassung wurde mit einem von arte und dem ZDF in Auftrag gegebenem neuen Soundtrack untermalt, der vermutlich nichts mit dem zu tun hat, was 1929 im Kino zu hören gewesen war (ich kann auch nicht sagen, ob der Zuschauer den Tonfilm innerhalb des Films tatsächlich gehört hat oder ob dies nur in der Restaurierung/Bearbeitung der deutschen arte-Fassung der Falll ist). Eine insgesamt sehr gute Musik, wenn man denn Jazz mag, die allerdings leider null zum Film passt.

Fazit: 20 Minuten gestrafft (vor allem in der Kinoszene), und man hätte hier einen richtig guten Film bekommen, der, von dieser groooooßen Schwäche abgesehen, hauptsächlich von seinem fantastischen Hauptdarsteller und experimentierfreudiger Technik in Bezug auf Kamera und Schnitt lebt.
 
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