AW: Stalker
Eine klasse Kritik, mit der du in vielen Aspekten den Nagel auf den Kopf triffst. Grundsätzlich mag ich es, wenn man eher unstilisiert verdeutlicht, welche Eigenschaften einen in den Film reingezogen haben und welche einem eher den Zugang versperrten - das ist zugleich persönlich und fängt manchmal einige wesentliche Wahrheiten des Films ein.
Die philosphischen Gespräche sind mir viel zu langatmig geraten – möglicherweise bin ich aber einfach nur zu blöd, hinter den tieferen Sinn zu steigen.
Es handelt sich hier um einen meiner absoluten Lieblingsfilme, aber den genauen tieferen Sinn kann ich auch nicht benennen. Ich versuche es mal mit ein paar generelleren Beobachtungen, anhand derer jeder selbst den tieferen Sinn erforschen kann, und vielleicht den kleinen Versuch einer Erklärung ohne Spoiler, wie dieser Film vielleicht so ungefähr "funktioniert".
Was die "philosophischen Gespräche" betrifft - philosophisch ist sicherlich ein passendes Adjektiv für dieses Meisterwerk, aber da ich gerade aus einer Philosophie-Vorlesung mit anschließenden Fragen komme, kann ich versichern, das ist kein Film für Philosophiestudenten, die irgendwelche verstreuten Insiderwitze aufschnappen können um sich danach in einem abschließenden Kaffeeklatsch wichtig zu tun. Tarkovsky war absoluter Anti-Intellektualist und hat sogar behauptet, dass Kinder seine Filme am besten verstehen. Und zumindest in seiner Struktur ist das im Grunde auch kein sonderlich komplizierter Film, kein Rätselfilm - Stalker ist kein Mulholland Drive! Es gibt keine leuchtenden blauen Schlüssel, metaphysische Cowboys oder Monster hinter Restaurants. Ganz anders ist da sein Vorgängerfilm "Zerkalo" ("Der Spiegel"), den man gut möglich drei mal sehen muss um überhaupt zu rallen worum es da geht (um dann zu merken, dass er in über hundert Jahren Kino wirklich alleinsteht und mit nichts vergleichbar ist).
Wenn ich sagen müsste, "worum es geht", wäre mein erster, vereinfachender Ansatz folgender: Stalker ist ein Film darüber, was es heißt, Zuhause zu sein und sein Zuhause zu verlassen, eine Heimat zu haben und keine zu haben. "Heimat" und "Zuhause sein" jetzt im ganz direkten Sinne und im übertragenen, "spirituellen" Sinne - nicht als Metapher oder Symbol für irgendwas, sondern einfach was genau es bedeutet und wie genau das ist, sich sozusagen "Zuhause zu fühlen" und aus welchen Gründen wir uns dazu genötigt sehen (müssen), unser Zuhause das ein oder andere Mal zu verlassen.
Das hört sich auf den ersten Blick vielleicht ein bißchen komisch an, aber das ist ein Grundthema des Kinos überhaupt und hat viel mit seinem Wesen zu tun, was ich nicht zuletzt durch Stalker gelernt habe. Man verlässt ja sein Zuhause in eine "andere Welt" (hört sich arg kitschig an) mit der Sicherheit es nicht wirklich, körperlich zu verlassen. Grundsätzlich faszinierte mich immer, schon in meinem Cineasten-Ursprungsfilm "Spiel mir das Lied vom Tod" -was ich allerdings erst jetzt merke und so aussprechen kann-, wie man in Filmen ein Gefühl fürs "Zuhause sein" (oder für das Gegenteil) herstellen kann dadurch, wie man Räume und Menschen filmt, sowie durch den Rhythmus und die Zeit. Einige Regisseure und Filme kann man mit diesem "Thema" fast komplett auf den Punkt bringen - etwa die Filme von John Cassavetes, die dadurch sehr viel mystischer werden, als sie auf den ersten Blick wirken.
Bleiben wir mal simpel: Es gibt da an Personen den Stalker selbst und seine Frau und sein (mutiertes) Kind, die er
Zuhause hat, und dann den Wissenschaftler sowie den Schriftsteller, die er über den Weg der militarisierten Abgrenzung in die
Zone führt, wo es diesen einen
Raum gibt. Jegliche erste Annäherung, die wir gewohnt sind, ist sofort das ganze zu entschlüsseln - Dies heißt das und das heißt dies und etc. So sind wir das auch in den meisten der Zukunftsvisionen gewohnt, die wir sehen. Ich vergleiche diesen Film mal mit "Children of Men" und versuche so sachlich und unpolemisch wie möglich deutlich zu machen, worin sie sich unterscheiden: "Children of Men" ist wie eine These, die illustriert und mit Emotion gestützt wird - ob es nun die schwangere Frau, die Flip Flops, oder eine plakative Kamerafahrt durch ein Loch in der Fensterscheibe zu einer Schaukel ist mit imaginärem Kinderlärm in der Tonspur. Da gibt es auch Kamerafahrten und lange Einstellungen, da wird minutenlang durch ein Schlachtfeld gefahren und langsam gezoomt und geschwenkt, ätherischer Soundtrack inklusive. Aber diese Welt, die der Film uns präsentiert und all diese "Atmosphäre" basieren auf leicht entschlüsselbaren "Grundmotiven". Ich finde das ziemlich langweilig und auch ermüdend, unnötig in die Länge gezogen.
Stalker hingegen funktioniert ganz anders. Hier benutzen wir unsere Augen und unsere Ohren nicht um etwas zu bestätigen, sondern um etwas zu
erleben. Man kommt nicht dazu danach einfach zu sagen "ja, der Film hatte wirklich schöne Bilder und eine krasse Tonspur", der Film ist einfach von so einer überirdischen ästhetischen Schönheit, dass solche "Merkmale" das ganze eher trivialisieren.
Der "Sinn" von Stalker ist meiner Meinung nach, zusammen mit der sehr tragischen Hauptfigur, dem "heiligen Idioten" (mit dem sich Tarkovsky selbst übrigens identifiziert), unser Zuhause zu verlassen ins Ungewisse, und zu sehen, woran wir eigentlich glauben und ob wir überhaupt glauben. Ein Glaube ist wie eine Heimat, sie zu verlassen ist schmerzlich, aber wenn wir an der Welt teilhaben wollen, führt nichts daran vorbei. Aber ohne Glauben, ohne Heimat geht es nicht, und was dieser Film erzeugt ist eine ungeheure Angst vor der Heimatlosigkeit. Der namensgebende Stalker ist ein Idealist und wird bitter enttäuscht. Es geht also, um die Sache mit der Heimat weiterzuführen, um die komplexe Beziehung zwischen der Innen- und der Außenwelt und unserer moralischen Verantwortung, in die Außenwelt zu gehen. "Children of Men" hat religiöses Pathos, "Stalker" ist wie ein religiöses Erlebnis.
Was dieser Film erreicht wie kein anderer, ist ein Gefühl für die unglaublichen Wunder der sinnlichen Welt und für den unglaublichen Schrecken menschlicher Vergehen an der Welt zu erschaffen, ohne eine Story, ohne viele Charaktere, ohne irgendetwas speziell konkretes. Man sieht den Film und fühlt, das ist die Welt selber.
Und deswegen diese Langsamkeit, dieser Rhythmus, dieses Verweilen - Das Haus, die Zone, der Raum, die Charaktere und diese militärische Abgrenzung sollen nicht zu Symbolen werden, man soll sie nicht entschlüsseln, man soll sie
erleben, man soll ins Ungewisse gehen. Das macht einen, wie du schon sagtest, teilweise ganz schön depressiv aber der Film ist voller Hoffnung. Die letzten knapp dreißig Minuten zählen zum bewegensten, was ich jemals gesehen habe.
Wie man sicherlich schon merkt, ich halte den Film für ein besonderes Meisterwerk und die vielleicht beste Sci-Fi-Dystopie aller Zeiten (auch wenn Tarkovsky seinen Film nicht als solchen sah).
Die triste Optik finde ich hingegen grandios, die Atmosphäre überwältigend. Trotz aller Längen hatte ich im Endeffekt das Gefühl, einen absolut einzigartigen Film gesehen zu haben.
Ich finde, das ist ein hervorragender Schlusssatz.
Um mehr Leute zu dem Film zu bewegen, muss ich youtube mal zu Hilfe rufen, damit sie ungefähr auch wissen, was ich mit dem ganzen Schmarrn meine:
Diese Sequenz ist nicht von dieser Welt.
PS: Über die Bedeutung des "Raums" und die letzten Szenen und vieles andere habe ich jetzt erstmal keine Worte verloren.