AW: Renaissance
Kritik von Vince
RENAISSANCE
Ausschnitte aus meiner
ofdb-Kritik
Der Name des Patienten lautet “Renaissance”. Er leidet an den gleichen Symptomen wie Patient “Final Fantasy” vor fünf Jahren. Eine innovative Methode der Visualisierung genießt höchste Priorität gegenüber einer erschreckend uninspirierten Story, die bodenständig, aber altbacken durchläuft, ohne jeden dramaturgischen Höhepunkt. Derer sind deutlich sichtbar im Storyboard einige vermerkt, nur befindet sich die durch Motion Capturing realisierte Optik noch in einer Entwicklungsphase. Die Folge: Emotionslosigkeit, Durchsichtigkeit, Gefühlsstarre beim Zuschauer.
Auf kurze Distanz ist “Renaissance” wenigstens eine optische Pracht. Als lebendig gewordener Holzschnitt setzt sich flüssig ein Frame ans andere und verschiebt dabei die Proportionen und das Zusammenspiel von Schwarz und Weiß, wagt sich in Hintergründen und bei der Darstellung von Glas auch mal in zwei oder drei Graustufen. Es entsteht dabei natürliche Bewegung, die eben auf dem Motion Capture-Verfahren basiert, aber stilistisch so entfremdet ist, dass jedes Einzelframe an sich wie ein handgefertigter Schwarzweiß-Print aussieht.
Nun beherbergt der gerade in den ersten Minuten aufregende Stil allerhand Tücken eines unfertigen Prototyps, die dem Film alsbald auch das Genick brechen. Im Gegensatz zum feiner detaillierten “Sin City” stellt “Renaissance” nämlich enorme Anforderungen an das menschliche Auge, das schon nach einer Dreiviertelstunde weitgehend übersättigt ist von den extremen Kontrastwerten, die wie wild auf das Rezeptionsinstrument einhämmern.
Hinzu kommt dann noch das Problem um die Story. Eine Dystopie muss, wie ich meine, grundsätzlich einen Zugang schaffen können, damit der Zuschauer nachvollziehen kann, was die Konsequenzen der dargestellten Handlungen wirklich zu bedeuten haben. Insofern bilden Story und Optik aus “Renaissance” ein problematisches Gemisch, denn der Zugang zum Geschehen ist jederzeit verschlossen. Es ist die Rede von Avalon, das einem Roman Aldous Huxleys entsprungen sein könnte; einem lebensverlängernden Produkt, einer Krankheit, Experimenten, Entführungen und Verschwörungen. Offenbar im vollen Bewusstsein ist das Drehbuch derart klassisch gezeichnet, doch bedenkt man, dass davon kaum etwas befriedigend umgesetzt wurde, ist das schon ein wenig frustrierend. Denn die Storybemühungen bemerkt man zwar, doch man verinnerlicht sie nicht.
Der Trend zum “Neo-Schwarzweißfilm” ist prinzipiell zu begrüßen, da er für die Zukunft noch einiges an Potenzial verspricht. “Renaissance” sollte aufgrund seiner optischen Ungewöhnlichkeit allerdings nicht überbewertet werden; er stellt noch nicht viel mehr als einen eher schlecht als recht funktionierenden Prototypen dar, der den klassischen Schwarzweißfilm noch nicht vergessen machen kann. In den Anfängen des Films war die Schwarzweiß-Optik in erster Linie eine technische Begrenzung, die nach dem Grundsatz “aus der Not mache eine Tugend” für die eigenen Zwecke umgeformt wurde. Bei Christian Volckmans Spielfilmdebüt läuft es noch umgekehrt - hier ist die Story die Not, die tugendhaft, aber mit vielen funktionalen Problemen der Optik angepasst wird. Die wirkliche Renaissance lässt trotz eines herben visuellen Erlebnisses noch auf sich warten. Das war jetzt nur ein Strohfeuer.
4/10