AW: Früchte des Zorns
Früchte des Zorns
Als ich vor Jahren John Steinbecks Roman "Früchte des Zorns" gelesen habe, bevölkerte mir noch das von allen Enden meiner Umgebung gerne unterstützte Klischee den Schädel, Verfilmungen von Büchern würden immer den Büchern zwangsläufig Gewalt antun und seien doch was ganz böses. Wie ich das als damaliger Filmfan schlucken konnte, wo eine solche Behauptung doch ganz klar die Unterlegenheit des Mediums Film voraussetzt, als sei es das selbstverständlichste auf der Welt, ist mir schleierhaft - wahrscheinlich weil es für mich ebenfalls etwas selbstverständliches war. Schließlich erzählt ein Buch ja so viel und ein Film kann sowas nie rüberbringen, alle kennen wir diese Argumente. Ich hatte den Roman verschlungen und er hatte mir damals viel gegeben - als angehender sozialistischer "Denker" (der ich leider nie wurde und nie war) ganz besonders. Warum ein Hollywoodfilm, dachte ich mir, auch wenn er ein so bekannter Klassiker ist und mit Henry Fonda einen meiner damaligen Helden zu bieten hatte. Es hatte einige Jahre gedauert, und es war eine Freude, die man als Kenner des Romans selten empfindet (und die wohl viele aus Prinzip nicht empfinden wollen).
John Fords ein Jahr nach dem Roman erschienener Klassiker schafft das Kunststück, gleichzeitig eine sehr werkgetreue und eine sehr individuelle, Fordsche Übertragung zu sein - den Geist, das Leben der Vorlage, die Geschichte der Familie Joad, die infolge der Industrialisierung von ihrer Ranch vertrieben wird und auf einem großen Lastwagen Richtung Kalifornien (dem Land voller Milch und Honig) reist, um dort Arbeit zu finden und ein neues Leben anzufangen, ist spürbar, fühlbar, tastbar, ebensosehr wie das Universum des großen amerikanischen Mythenhistorikers John Ford.
John Steinbeck und John Ford verschmelzen in diesem Juwel so perfekt miteinander, dass man nicht auseinanderhalten will und nicht auseinanderhalten kann. Der Roman und der Film, wenn auch verschieden, verschmelzen zu einem gemeinsamen Ganzen und gewinnen viel Substanz durcheinander. Die Fordsche Spiritualität zählt für einen genauso sehr zum Roman wie der Steinbecksche soziale Realismus zum Film.
Und damit sind wir bereits beim großen Spannungsverhältnis, der die ganze Faszination dieses Juwels ausmacht. Ähnlich wie Chaplins "Moderne Zeiten" dokumentiert "Früchte des Zorns" die Folgen der Industrialisierung und die Folgen moderner Intoleranz anhand eines historischen Schnappschusses, doch sucht dabei immer nach mehr, nach etwas universellerem, und macht diese Suche selbst zu seinem eigenen Thema. Dafür findet der Film eine Bildsprache von wunderschöner Einfachheit: Lichter eines Traktors in der Nacht erscheinen im Horizont im Gegenschnitt zu den Augen des ungläubigen Henry Fonda, der sich auf seiner eigenen Farm verstecken muss, als eine subjektive, mystische Bedrohung der Natur, werden aber nach der Ankunft zu einem Traktor und seinen Insassen, zu Mensch und Maschine, die als Bedrohung für die Harmonie der traditionellen Familie verschmelzen. Wie es Alfred Hitchcock ausdrückte: "A John Ford film was a visual gratification, his method of shooting eloquent in its clarity and apparent simplicity."
Die Suche nach dem amerikanischen Traum wird zu einer tief spirituellen und tief bewegenden Suche nach zwei Sachen, nach denen bei John Ford immer gemeinsam gesucht wird und die sich doch immer gegenseitig zerfleischen: Die perfekte menschliche Gemeinschaft und Gott und das ewige Leben. Einer der Charaktere, ein ehemaliger Pfarrer, der den Glauben verloren hat und später zum (unausgesprochenen) Kommunistenführer wird, sagt in einer Beerdigungsrede: Alles was lebt ist heilig, euer Großvater lebt nicht mehr und hat keine Sorgen, wendet euch lieber den lebenden zu. Der Film handelt von dem Sinn und Unsinn eines Märtyriums für ein bessere Welt, wenn das Leben selbst doch so heilig und so kurz ist. Die langen Einstellungen von der Straße (der Film ist einer der Ursprünge des Roadmovies) und ihren Schildern, immer führend auf einen noch jungfräulichen und nicht durchdrungenen Horizont, untermalen auf ungewöhnlich musikalische Weise den Kontrast zwischen den fragwürdigen Regeln einer intoleranten, durch Industrialisierung und Kapitalismus zunehmend anonymen menschlichen Gemeinschaft und einer gleichültigen (?) oder uns betrachtenden (?) Natur.
Dieser zutiefst pessimistische Film bietet uns umso schönere und profundere Augenblicke der Hoffnung und Utopie. Hier wird im Gegensatz zu einigen anderen Fordfilmen, wie etwa der eigentlich brillante, mich aber weniger bewegende Nachfolger "How Green was my Valley", die Sentimentalität nicht bis zur Erträglichkeitsgrenze überschritten, hier verliert er nie die Kontrolle über die Länge und die Tonlage seiner Szenen. Und hier wird der meist in Steinbecks Roman enthaltene Dialog unglaublich effektiv gesprochen, ohne dass der Film je verbalisiert wird, wie das bei Filmen aus dieser Zeit leider zu oft der Fall ist. Und es wird ein Ende ausgesucht, dass völlig verschieden ist von dem im Roman, mich aber zutiefst bewegt.
Ich schließe ab mit einer Empfehlung für den Film (im O-Ton) und für den Roman.