Wide Awake

Willy Wonka

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Wide Awake


Bevor M. Night Shyamalan mit „The Sixth Sense“ seinen internationalen Durchbruch schaffte, hatte er schon zwei Spielfilme realisiert. Nachdem „Praying with Anger“ sehr gut von den Kritikern aufgenommen worden ist, bekam Shyamalan von den Weinstein-Brüder die Möglichkeit ein zweites Projekt zu verwirklichen, dass im Gegensatz zu seinem Debüt auch ein höheres Budget besaß.

Der Film zeigt uns einen Ausschnitt aus dem Leben des zehnjährigen Joshua A. Beal, der in einem recht normalen und gewöhnlichen Umfeld aufwächst. Durch den Verlust seines Großvaters begibt er sich auf die Suche nach Gott.

Diese kurze Inhaltsangabe offenbart gleich zwei Leitmotive des Films und auch von Shyamalans restlicher Filmographie. Seine Filme sind spirituell und arbeiten mit religiösen Motiven auf unterschiedlichste Weise und in seinen Filmen spielen Kinder meistens eine sehr tragende Rolle. „Wide Awake“ kann als Vorbild für die weitere Verwendung der Themenfelder „Religion“ und „Kindheit“ in Shyamalans Film angesehen werden. Doch der Kontrast zu seinen späteren Filmen besteht darin, dass er nicht die Angst des Zuschauers benutzt, um auf Probleme oder wichtige Details aufmerksam zu machen, sondern er versucht einzig durch den Hauptsympathieträger des Films (den zehnjährigen Joshua A. Beal) die Emotionen des Zuschauers hervorzurufen und ihn so auf wichtige Fragen hinzuweisen. Er benutzt also keine Spannung oder Suspense, wie in seinen anderen Filmen, sondern arbeitet mit den menschlichen Emotionen mithilfe von Identifikationsfiguren. Dieses spiegelt sich auch in der Farbgestaltung des Films wider, denn er verwendet die Farbe Rot nicht als Signalfarbe und die Arbeit mit Licht und Schatten dient dazu, die Charaktere emotional zu exponieren. Des Weiteren gibt es mehrere Überblendungen ins Weiße, was der deutlichste Unterschied zu seinen Thrillern darstellt, in denen er meist ins Schwarze abblendet. Seine Thriller waren auch noch ruhiger und beklemmender gestaltet, was u.a. an der Anzahl der Schnitte liegen mag, und brach damit so manche Konventionen der Dramaturgie. Dieses ist bei „Wide Awake“ nicht unbedingt der Fall.

Die Hauptfigur eines Films so zu kreieren, dass sich sowohl ältere als auch jüngere Semester mit ihm identifizieren, ist eine sehr knifflige Angelegenheit, welche aber mit Bravour gemeistert wurde. Joshua ist ein sehr aufgeweckter und kluger Junge und seine Rolle besitzt die nötige erwachsene Rationalität und auch die kindlicher Naivität, damit er als Mensch glaubwürdig erscheint. Da Joshua auch die Funktion des Erzählers des Films übernimmt, kann er sehr gut die Welt der Erwachsene aus der Sicht von Kinderaugen erläutern und die Position des Erzählers ist für die Identifikation des Zuschauers sowieso enorm förderlich. Durch den feinsinnigen Humor ist der Film im Bereich der Tragikomödie anzusiedeln und auch wenn die Kombination von „Religion“ und „Kindheit“ nicht bei jedem Interesse wecken könnte, weil er dahinter bloßen Kitsch oder spirituellen Irrsinn erwartet, irrt sich, auch wenn der Film ein wenig in der Epoche des New Age angesiedelt werden kann. Viele Szenen des Films spielen in der katholische Schule, wo Joshua unterrichtet wird, aber jenes Schulgebäude mit den Nonnen als Lehrkräfte ist sehr charmant umgesetzt und entspricht keineswegs den gängigen Klischees. So unterrichtet diese Schule neben der christliche Lehre auch noch eine weitere und für die meisten Amerikaner eine viel beliebtere Religion und zwar die „Religion des Footballs“. Diese kurze Szenen und Einfälle sind sehr charmant und wirken keineswegs platt oder unnötig, sondern erweitert das Bild der jeweiligen Charaktere und liefern einen kongenialen Hintergrund für seine Suche nach Gott.

Der Film wurde als ein Familienfilm vermarktet, aber eine geeignete Zielgruppe zu finden, halte ich für schwierig. Kinder werden an der Pfiffigkeit des Jungen gefallen haben, aber sich bei den Entwicklungen der Charaktere langweilen. Viele Erwachsene haben Probleme einen Zugang zu Kindern im Film zu finden und daher könnte dieser Film nicht funktionieren. Auch hebt der Film manche Symbole zu sehr hervor, was als kitschig ausgelegt werden könnte. Die Wahl einer subtileren Filmsprache hätte dieses vermeiden können.
Aufgrund der Charaktere, den Charme und den hoffnungsvollen Optimismus sehe ich sehr viele Parallelen zu Spielberg-Filmen und erst bei Shyamalans späteren Filmen orientiert er sich an sein anderes Idol Alfred Hitchcock.
 
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deadlyfriend

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AW: Wide Awake

Sehr sehr tolles Review, das den Film hervorragend beschreibt. Im Grunde kann man da kaum noch etwas hinzufügen.
Mir gefiel er ebenfalls sehr gut, auch wenn er natürlich gänzlich anders als seine sonstigen Werke ist.
 

Willy Wonka

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Sehr sehr tolles Review, das den Film hervorragend beschreibt. Im Grunde kann man da kaum noch etwas hinzufügen.
Mir gefiel er ebenfalls sehr gut, auch wenn er natürlich gänzlich anders als seine sonstigen Werke ist.

Vielen Dank. :kiss: Freut mich auch, dass er dir ebenfalls sehr gut gefallen hat.
 
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