Holy Motors

Despair

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AW: Holy Motors

Holy Motors

Ein Mann steigt in seine Stretchlimousine, offensichtlich bereit für den Arbeitstag. Doch Monsieur Oscar – so der Name des Mannes – ist nicht etwa der Chef eines Konzerns oder ein hohes Tier in der Politik, wie die mondäne Karosse vermuten lässt. Nein, er ist Schauspieler; die Stretchlimousine mit Chaufferin Céline ist für ihn Büro, Fortbewegungsmittel und Garderobe in einem. So lässt sich Monsieur Oscar quer durch Paris kutschieren, während er die Verkleidung für seinen nächsten Auftrag anlegt. Manche dieser Aufträge sind reichlich bizarr...

Regisseur Leos Carax lässt seinen Hauptdarsteller Denis Lavant in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen, z. B. den bereits bekannten Monsier Merde, der schon die Abwasserkanäle Tokios unsicher machte (siehe Carax' Beitrag zum Episodenfilm „Tokyo!“). Doch für wen spielt Monsieur Oscar seine Rollen? Die Drehorte sind als solche nicht erkennbar, Kameras sind nirgendwo zu entdecken. Und doch scheinen sie allgegenwärtig zu sein. Man könnte sogar vermuten, dass Kameras in der Welt, in der Monsieur Oscar unterwegs ist, überhaupt nicht nötig sind. Doch mehr als vage Andeutungen bekommt man als Zuschauer nicht geliefert, man muss sich schon selbst einen Reim auf das skurrile Treiben machen. Oder man lässt es einfach bleiben und genießt die stimmungsvollen Bilder und die eigentümliche Atmosphäre (David Lynch meet Jean-Pierre Jeunet kam mir gelegentlich in den Sinn, aber irgendwie trifft's das auch nicht so ganz).

Fazit: „Holy Motors“ ist phantasievoll, bizarr und ein bisschen irre. Von Zeit zu Zeit leider auch etwas langatmig. Man sollte also gewillt sein, sich auf Carax' surreales Universum einzulassen und am besten jegliche Erwartungshaltung außen vor lassen. Dann bekommt man einen gewaltigen Mindfuck der ganz besonderen Art - und vielleicht ein bisschen Angst vor Stretchlimousinen...

8/10 Punkte
 

Vince

Filmstar
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AW: Holy Motors

Mein damaliger Filmtagebuchkommentar:

In seiner nicht nur episodischen, sondern darüber hinaus surreal-sprunghaften Struktur vollzieht „Holy Motors“ weniger eine sinnvolle Handlung, sondern stellt eher ein Traumgebilde dar, dessen Protagonist (Denis Lavant) sich scheinbar mühelos von seinen Identitäten lossagen kann, um immer wieder neue anzunehmen. Gleich zu Beginn wird nicht nur ein Kino durch eine Geheimtür betreten und die Vorführung nüchtern von außen betrachtet und bewertet, auch eine mit starken sexuellen Konnotationen angereicherte Motion-Capture-Tanzaufführung deutet schon früh eine Auseinandersetzung mit den Mechanismen des Films als Erzähltechnik an. David Lynch wird da natürlich wieder nicht umsonst in den Mund genommen, obwohl Leos Carax’ Film visuell sowie die Szenenarrangements betreffend vielmehr an Richard Kellys Weltuntergangsgroteske „Southland Tales“ erinnert.
Wenngleich im Ganzen durchaus reizvoll, strahlen die einzelnen Episoden oft etwas Träges aus und erweisen sich mitunter als aufgedunsen und schwerfällig ausgedehnt. Momentausschnitte zeugen von Brillanz, doch dann folgen meist endlose Auswalzungen, die fast schon glauben machen, Carax arbeite bewusst gegen die Regeln des Pacings. Richtig angefasst kann ein solches Vorhaben durchaus seinen Reiz haben, aber die Reise einer Limousine und ihres Gestaltenwandlers schürt den Eindruck, ein guter Co-Autor hätte aus Carax’ Drehbuch wesentlich mehr herausholen können.
5/10
 

Despair

Filmvisionaer
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Wenngleich im Ganzen durchaus reizvoll, strahlen die einzelnen Episoden oft etwas Träges aus und erweisen sich mitunter als aufgedunsen und schwerfällig ausgedehnt.

Mir waren ausgerechnet einige Stellen zu Beginn zu sehr in die Länge gezogen, was den Einstieg nicht gerade erleichtert. Dem Anfang im Schlafzimmer und der Motion-Capturing-Tanzszene hätte eine Straffung nicht geschadet. Und Kylie Minogues Gesangseinlage habe ich ganz schnell geistig ausgeblendet, die hatte einen gewissen Fremdschämfaktor. :D Trotz dieser kleinen Makel meiner Meinung ein klar überdurchschnittlicher Film. Gerade weil Carax auf konventionelle Erzählmethoden pfeift und sein Ding konsequent durchzieht :)D).
 
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