Ein Hauch von Zen

Frankie

Leinwandlegende
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#02 02.12.08 Vince
 
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Frankie

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AW: Ein Hauch von Zen

Kritik von Vince

EIN HAUCH VON ZEN
Ausschnitte aus meiner ofdb-Kritik

Eine Übermittlung außerhalb jeglicher Doktrin,
die sich weder auf Worte noch auf Schriften stützt.
Ein direktes Hinweisen auf des Menschen Herz:
Wer sein eigenes Wesen schaut, ist ein Erwachter.

Buddha

King Hu war ein Ästhet. Eigens von Regisseuren wie Akira Kurosawa inspiriert, wurde er später selbst zur Inspiration für Regisseure wie John Woo, Tsui Hark, Zhang Yimou und nicht zuletzt Ang Lee. Das Wuxia-Genre würde in seinen Händen die ritterliche Poesie der chinesischen Literatur mit der Bewegung der filmischen Kampfchoreografie verschmelzen. Er würde das “Wu” (die Kampfkunst) mit dem “Xia” (die Person und ihre Eigenschaften) endgültig zusammenführen, indem er seinen Werken eine cinematografische Poesie einhauchte, eine Poesie, die sich auf die Ästhetik der Kampfchoreografien auswirkte und sie mit der menschlichen Erzählung untrennbar verbände - eine Sache, die er vor seinem Lebenswerk im Wuxia-Genre noch als unzureichend eingestuft hatte. Etwas, woran zu arbeiten wäre. “A Touch of Zen” ist diesbezüglich wohl sein unbestrittenes Meisterwerk und ein nicht ignorierbarer Meilenstein auf dem Weg hin zu wegweisenden Beiträgen der neueren Filmgeschichte, wie Ang Lees “Tiger & Dragon”.

Drei Jahre hat die Fertigstellung gedauert. Das Produktionsjahr datiert offiziell von 1971, doch begann die Produktion bereits im Jahr 1969. Monate verstrichen, ehe das Fort, Schauplatz eines der großen Highlights, so weit errichtet war, wie man es im fertigen Film sieht. Die epische Laufzeit von drei Stunden, die vom Produktionsstudio bei Erstveröffentlichung auf eine Zwei-Stunden-Version heruntergekürzt wurde, wirkt in jeder Sekunde durchdacht und auf ein Endziel konzipiert, wenngleich ein auffälliger Bruch in der Mitte und ein massives Ungleichgewicht von Kampfsequenzen zugunsten der zweiten Hälfte festzumachen ist. Tatsächlich wurde an jener Stelle einst auch frei nach “Kill Bill” ein Bruch vollzogen und das Gesamtwerk zweigeteilt. Doch ist auch dies als bewusste Konzeption zu verstehen, denn zwei Welten treffen aufeinander. Ein realistischer Ansatz im Drama eines schüchternen Dorfmannes und einer jungen, verlassenen Frau (die damals 18-jährige Hsu Feng als Hui-Ching Yang) wandelt sich zwischenzeitlich zu einem phantastischen Traumgebilde mit Dämonen und Geistern, Abschnitte, die man durchaus als Inspirationsquelle für das “A Chinese Ghost Story”-Epos anerkennen kann.

Die Einbrüche des Phantastischen in die Ordnung der realen Welt sind charakteristisch für das Genre. King Hu nutzt sie erstmals konsequent, um die Kampfchoreografien mit ihnen zu verschmelzen, sie ebenfalls in ihrer Ausführung dem Fantasy-Ansatz anzugleichen. Schon in “Die Herberge zum Drachentor” (1966) experimentierte er in diese Richtung, indem er erstmals Wirework zur Anwendung brachte und die Bewegungen der Akteure damit von ihren physikalisch den Naturgesetzen unterworfenen realistischen Möglichkeiten abzuheben. Diesmal übertrifft sich Hu mit der Inszenierung der Martial Arts selbst. Mit Hilfe von Trampolinen scheinen die Akteure durch die Wälder zu fliegen und der Schwerkraft zu trotzen, obwohl die Momente des elegischen Fliegens subtiler eingesetzt und schwerer zu erfassen sind als in der technisch noch ausgereifteren zweiten Generation um Ang Lee. Die berühmte “Bambussequenz” ist dabei weniger pompös als anzunehmen, bedenkt man, dass sie sowohl bei “Tiger & Dragon” als auch bei “House of Flying Daggers” eine Reminiszenz erfuhr. Jedoch ist sie technisch perfekt, mit ausgesprochen genialer Schnittmontage hervorragend in Szene gesetzt und durch die hinreißenden Naturaufnahmen, in denen sich Hu ein ums andere Mal genüsslich verliert, ins Unaussprechliche hinein ästhetisiert. Die Kürze der Szenen tut ihrer Wirkung keinen Abbruch. Es bleiben Bilder zurück, die für das Kino gemacht scheinen.

Wann immer jemand gerade einen modernen Martial Arts-Film gesehen hat, täte er gut daran, im Anschluss einen Gedanken an King Hus Meisterstück zu verschwenden, und sei es auch nur ein kurzer. “A Touch of Zen” ist die inkarnierte Ästhetik der Cinematografie, es ist die Erfahrung der Natürlichkeit und die Poesie des Wuxia. Stilprägend für eine ganze Folgegeneration, schafft es der Regisseur, ein dreistündiges Historienepos über das China der Ming-Dynastie abzuliefern, das keine Sekunde verschwendet und stattdessen einen gewaltigen Bildersturm entfesselt, der sanft beginnt und nach 90 Minuten immer stärker an Dynamik zulegt. Mit seinen glaubwürdigen Charakteren gleitet Hu immer wieder vom Realismus in den Mystizismus des Exils aus Seen, Steinen und Bambuswäldern. Eine unvergessliche Reise in die Selbstfindung.
10/10
 

Despair

Filmvisionaer
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AW: Ein Hauch von Zen

Da kann ich nur voll und ganz zustimmen. Auch wenn der Zahn der Zeit ein bisschen genagt hat...
 
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