Die große Illusion

Die wilde 13

Storyboard
Teammitglied
Registriert
12 Nov. 2008
Beiträge
18.009
Ort
Duckburg
Filmkritiken
112
AW: Die große Illusion

Die große Illusion


Schauplatz des von Jean Renoir 1937 inszenierten Films ist der 1. Weltkrieg. Die beiden französischen Flugoffiziere De Boeldieu und Maréchal (Jean Gabin) werden vom deutschen Major von Rauffenstein (Erich von Strohheim) abgeschossen und landen in einem Strafgefangenenlager für Offiziere. Trotz guter Behandlung planen sie mit anderen Gefangenen – darunter der Jude Rosenthal – die Flucht mittels eines Tunnels. Kurz vor Vollendung werden sie jedoch in andere Lager versetzt und kommen über Umwege in die Festung Wintersborn, wo sie wieder auf von Rauffenstein treffen, der mittlerweile dieses Lager leitet...

Ein Kriegsfilm, der komplett ohne Schlachtenszenen (auch der Abschuss der Hauptprotagonisten wird nicht im Bild festgehalten) auskommt, ist sehr bemerkenswert. Noch bemerkenswerter ist aber der Umstand, welche Werte dieser Film vermittelt. Nur 2 Jahre vor Ausbruch des 2. Weltkriegs spricht dieser zutiefst humanistische Film die Werte an, die alsbald in Europa den Bach runtergehen werden. Freundschaft und Respekt sowohl über die Grenzen (hier Deutsche und Franzosen), dem Stand (hier Adel und „normales“ Volk als auch der Adel untereinander) und vor allem über die Religion/Rasse (hier die Juden in Person von Rosenthal) hinaus bilden in Die große Illusion das Korsett. Renoir fügt diese Puzzleteile mithilfe seiner wunderbaren Schauspieler zu einem augenscheinlich leichtem Soufflé zusammen, doch wenn man tiefer blickt, nimmt er schon Notiz von dem aktuellem widerlichen Zeitgeist der späten 30er Jahre. Die ersten Szenen mit Rosenthal sind allesamt voll von Anspielungen und Vorurteilen gegenüber Juden, die Renoir dann später im Film wunderbar widerlegt. Auch der Umgang der beiden Adligen De Boielieu und von Rauffenstein ist akurat eingefangen. Während sich der Franzose schon mit der Abschaffung seines Standes in Frankreich abgefunden hat, wird es dem Deutschen erst jetzt so richtig bewusst, was nach dem Krieg von ihm und seinesgleichen bleiben wird. Und Maréchal bleibt es schlieslich vorbehalten, mehr für die deutsch-französischen Beziehungen zu tun als jeder Politiker vor oder nach ihm...

Tolle Bilder, großartige Darsteller (der junge Gabin!) mit hervorragenden Dialogen und eben dieser humanistische Grundton machen aus Die große Illusion (denn nichts anderes ist es, was Renoir uns hier zeigt, weil der Mensch aus seinen Fehlern leider nie langfristig lernen wird) einen Film, den man gesehen haben muss. Ich bin jedenfalls sehr froh, diesen weißen Fleck endlich von meiner Liste getilgt zu haben.
 

Vince

Filmstar
Registriert
21 Juni 2008
Beiträge
1.743
Filmkritiken
37
AW: Die große Illusion

Ein visionärer Film über den Großen (damals noch einzigen) Weltkrieg, der aber eine Weitsicht bezüglich der nahen Zukunft offenlegt: Gedreht 1937, lässt Jean Renoir bereits mit dem vieldeutigen Titel offen, ob die Zukunft wirklich den baldigen Frieden bringt, von dem viele Charaktere in seinem Film ausgehen. Auch der Krieg selbst wird im Rahmen der Handlung zur Illusion, denn weder bekommt man Schlachtfelder zu Gesicht noch werden die Franzosen oder Deutsche als Monster dargestellt, wenngleich die äußere Darstellung von Rauffensteins ein solches vermuten lässt; sein Handeln spricht aber ebenso wie dasjenige seines Gegners Boeldieu andere Bände, wird es doch vor allem von gegenseitigem Respekt geleitet.
Die offensichtlichste Lesart des Titels ist dann der Bau eines Tunnels, der aus dem Gefangenenlager in die Freiheit führen soll; hier fügt Renoir dem kriegs- und gesellschaftsphilosophischen Kern seines Films noch einen spannenden Unterbau zu.
8/10
 
Oben