An American Crime

crizzero

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An American Crime

Was für ein erschreckender Film! Ellen Page spielt hier das 16-jährige Mädchen Sylvia, welches im Spätsommer 1965 im US-Bundesstaat Indiana zusammen mit ihrer Schwester für zwei Monate bei einer alleinerziehenden Mutter und deren Kindern wohnen soll, da die eigenen Eltern mit ihrem Zirkus unterwegs waren. Aufgrund von Neid, Missgunst und Lügen wird Sylvia aber nach wenigen Wochen von ihrer Gastmutter in den Keller des Hauses gesperrt und auf brutalste Art und Weise misshandelt, gequält und geradezu gefoltert.

So schrecklich wie sich dieser Skandal anhört, ist er auch mit anzusehen. Es stellen sich dem Zuschauer die Nackenhaare vor Schauder und Unverständnis auf, wenn man sieht mit welcher eiskalten Intensität Regisseur Tommy O'Havers diese Tragödie verfilmt hat. Es ist eine echte Tortur, die Qualen der jungen Sylvia mit ansehen zu müssen. Alles wirkt so authentisch und krankhaft, dass man diese Taten einer psychisch labilen, innerlich verzweifelten und schlichtweg überforderten Frau wie der von Catherine Keener bemerkenswert gut gespielten Gastmutter durchaus zutraut. Man will es nicht glauben, muss es aber über sich ergehen lassen und letztendlich einsehen, dass solche Ereignisse in jeder Gesellschaft und in jeder Zeit real sein können. Nur Menschen können Menschen so etwas antun.

Der Film ist so grausam und wirkt derart fassbar, dass man ihn gar nicht so recht empfehlen will. Zu willkürlich und bodenlos ist die Tat, als dass man jemanden diesem Druck aussetzen möchte. Obwohl der Film handwerklich gefestigt und schauspielerisch richtig stark daherkommt, muss man Nerven mitbringen, um mit dieser visuellen Belastung umgehen zu können. Im Gegensatz zu modernen Terrorschockern, bei denen man die Gewalt sofort als makaberes Stilmittel abstempelt, bohrt sich das hier Gesehene nämlich ohne Umschweife auf mentaler Ebene ein. Und dies generiert eine wesentlich beklemmendere Atmosphäre, als man es in einem solchen Drama erwarten würde.

8/10
 
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dax

Filmvisionaer
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AW: An American Crime

An American CrimeDer Film ist so grausam und wirkt derart fassbar, dass man ihn gar nicht so recht empfehlen will. Zu willkürlich und bodenlos ist die Tat, als dass man jemanden diesem Druck aussetzen möchte. Obwohl der Film handwerklich gefestigt und schauspielerisch richtig stark daherkommt, muss man Nerven mitbringen, um mit dieser visuellen Belastung umgehen zu können. Im Gegensatz zu modernen Terrorschockern, bei denen man die Gewalt sofort als makaberes Stilmittel abstempelt, bohrt sich das hier Gesehene nämlich ohne Umschweife auf mentaler Ebene ein. Und dies generiert eine wesentlich beklemmendere Atmosphäre, als man es in einem solchen Drama erwarten würde.

Das ist genau der von mir bisher vermutete Grund, warum ich mir den Film noch nicht angesehen habe.
Wenn das dann noch vor realem Hintergrund passiert, kann ich so einen Film einfach nicht genießen, sondern rege mich beim Anschauen über soviel unfassbare Willkür und Gewalt so dermaßen auf, das der Tag für mich gelaufen ist.
Solch realer Horror nimmt mich emotional wirklich mit und ich weiß nicht ob ich mir das geben muß.
Selbst wenn der Film noch so gut ist.
 

crizzero

Filmvisionaer
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Solch realer Horror nimmt mich emotional wirklich mit und ich weiß nicht ob ich mir das geben muß.

Ja, dem muss man sich bewusst sein, wenn man den Film einlegt. Eine Spur derber war für mich damals aber noch "Flug 93", der mich total aus der Bahn geworfen hat. Musste mir beim Schreiben der Kritik damals echt die Tränen verkneifen, so mies ging's mir danach...

Hier drückt das Gesehene nicht so sehr auf die Tränendrüse, aber auf den Verstand. Je länger man darüber nachdenkt, desto weniger kann man begreifen, wie sich ein eigentlich reifes Individuum wie eine Mutter von 6 Kindern zu derartigen Handlungen hinreißen lassen konnte. Es will einem einfach nicht in die Birne.

Es bedarf einer spürbaren Anstrengung, sich diesen Film auch als solchen vorstellen zu können. Um ihn als Medium oder Kunst betrachten zu können. Und das ist bei diesem kritischen Thema wohl auch das größte Kompliment an den Streifen. Schauspielerei und Regie wirken so genau, dass man denken könnte, dass dies so jetzt irgendwo auf der Welt passiert.
 

Travis

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AW: An American Crime

Klasse Kritik, crizzo. Den Film kenne ich noch nicht. Dafür habe ich das im selben Jahr erschienene Gegenstück Jack Ketchum's Evil gesehen. Der soll angeblich noch deutlich härter und deutlich brutaler an der Realität dran sein. Kann ich nicht beurteilen, da ich mich mit dem realen Fall nie beschäftigt habe. Aber "Evil" war ein Schlag in die Magengrube, an dem selbst ich noch einige Zeit nach dem Filmende heftig zu knabbern hatte. Noch nie zuvor hatte ich beim Betrachten eines Films den aufrichtigfen Wunsch, in die Handlung einsteigen und diese Höllenmutter persönlich zur Rechenschaft ziehen zu können. Ganz heftiges Teil, besonders vom psychologischen Standpunkt aus gesehen, den man nicht bedenkenlos weiterempfehlen kann. Weshalb ich bisher auf eine Kritik verzichtet habe, da ich ihn niemals auch nur annähernd gerecht einordnen könnte. Er ist, wie Mr. Spock sagen würde: faszinerend - und abstoßend zugleich, wie ich hinzufügen würde.
 

crizzero

Filmvisionaer
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Dafür habe ich das im selben Jahr erschienene Gegenstück Jack Ketchum's Evil gesehen. Der soll angeblich noch deutlich härter und deutlich brutaler an der Realität dran sein.

Hmm, habe mir gerade mal diesen tollen Bericht durchgelesen. Da "An American Crime" schauspielerisch wohl aber etwas stärker zu sein scheint, bleibe ich bei dem Film. Ob ich mir diese Thematik ein zweites und wohl noch härteres Mal anschauen werde, wage ich so oder so zu bezweifeln...
 

Travis

Regie
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AW: An American Crime

Hmm, habe mir gerade mal diesen tollen Bericht durchgelesen.
Dank dir für den Link. Die Kritik deckt sich mit meiner Sichtweise zu 100%. Hätte nicht gedacht, daß der Film in der "seriösen" Kritik auch so gut wegkommt. Vor allem hat mich überrascht, daß "Jack Ketchum's Evil" in der Kritik in den meisten Disziplinen, außer der dasrstellerischen, deutlich besser abschneidet als "An American Crime".

Ob ich mir diese Thematik ein zweites und wohl noch härteres Mal anschauen werde, wage ich so oder so zu bezweifeln...
Hast schon Recht. Der Film ist ein extrem herber Schlag in die Magengrube, dessen "Genuß" man sich im Vorfeld überlegen sollte. Bestimmt nicht für jeden geeignet. Liegt weitaus weniger an der physisch sichtbaren als vielmehr an der imensen psychologischen Härte, die im Kopf wie eine Bombe explodiert und einem so schnell nicht mehr losläßt.
 
A

Amras

Guest
AW: An American Crime

Vor allem hat mich überrascht, daß "Jack Ketchum's Evil" in der Kritik in den meisten Disziplinen, außer der dasrstellerischen, deutlich besser abschneidet als "An American Crime".
Die verlinkte Kritik kann ich fast zu hundert Prozent unterschreiben, ich habe beide Filme gesehen und Jack Ketchum's Evil ist für mich der verstörendere der beiden Filme. Bei dieser Thematik würde ich jetzt nicht so weit gehen und sagen, das JKE der bessere Film ist. Aber ihr wißt schon was ich meine.
Liegt weitaus weniger an der physisch sichtbaren als vielmehr an der imensen psychologischen Härte, die im Kopf wie eine Bombe explodiert und einem so schnell nicht mehr losläßt.
Auch hier stimme ich dir zu, wobei der Film im Vergleich zum Roman nur ein leichter Hieb in die Magengrube ist. Die ganze Geschichte ist mir nach Beendigung des Romans wochenlang nicht aus dem Kopf gegangen.
 

crizzero

Filmvisionaer
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AW: An American Crime

Auch hier stimme ich dir zu, wobei der Film im Vergleich zum Roman nur ein leichter Hieb in die Magengrube ist. Die ganze Geschichte ist mir nach Beendigung des Romans wochenlang nicht aus dem Kopf gegangen.

Das glaube ich dir. Wenn man sich die in Worten beschriebenen Grausamkeiten noch im Kopf ausmalen muss, dann wirkt das wohl noch um ein Vielfaches stärker.

Ich weiß wirklich nicht, ob und wann ich mich an "Evil" wagen werde, aber ich behalte das Werk im Hinterkopf. Jedenfalls danke für den Hinweis, Trav!
 

BladeRunner2007

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An American Crime

Hier haben wir einen kleinen Film, der mir als Geheimtipp empfohlen wurde. Eigentlich habe ich ihn mir nur angesehen, weil Ellen Page mitspielt. Ich habe nichts großes erwartet, doch ich bekam genau das Gegenteil. Der Film hat mich gefesselt und berührt. Ich habe des öfteren feststellen müssen wie grausam der Film eigentlich ist. Es ist selten, dass ich mit Personen in Filmen mitleide, aber hier habe ich an einigen Stellen echt wegschauen müssen. Es gab sogar in Szenen in denen ich geweint habe! Besonders das Ende finde ich extrem traurig.
Und als Sylvia in der letzten Szene wieder symbolisch auf ihrem Karussell reitet und man ihren Monolog dazu hört,
brach ich echt nochmal richtig in Tränen aus. Das ist mir noch nie bei einem Film passiert. Wenn ich nur dran denke, bekomme ich schon ganz glasige Augen. Der Film überzeugt in dieser Hinsicht also vollkommen. Aber auch schauspielerisch kann er sich sehen lassen. Gertrude wird unglaublich fies und sadistisch von Catherine Keener dargestellt, dass ich richtigen Hass für sie empfunden habe. Ich wollte so sehr, dass sie leidet für all das was sie Sylvia angetan hat. Sehr überzeugende Leistung von ihr. Das selbe gilt übrigens auch für Ellen Page.
Schrecklich wie abgemagert sie am Ende im Keller liegt und auf ihren Tod wartet.
Der Film spielt in den 60ern und die Kulissen und Kleider etc. sehen überzeugend aus. Ich hatte zu jeder Zeit das Gefühl mich in diesem Jahrzehnt zu befinden. Technisch halte ich den Film für gelungen. Es gibt zwar Szenen, die man hätte vielleicht besser machen können, aber durch die ganzen hochkommenden Emotionen hatte ich gar nicht die Zeit um darüber nachzudenken. Außen scheint fast immer die Sonne und helle, fröhliche Farben bestimmen das Geschehen, doch sobald Sylvia das Haus betritt, herrschen dunkle, dreckige und bedrohliche Farben. Hier merkt man schön den abrupten Stimmungswandel und man weiß, dass gleich etwas schlimmes kommen wird.
So konnte ich z.B. einfach nicht glauben, dass selbst die Nachbarskinder an Sylvia's Folter teilgenommen haben. Sie haben zu ihrem Tod beigetragen und sahen es als Belustigung an!
Das hat mich einfach nur total schockiert. Insgesamt ist "An American Crime" ein Film der definitiv unter die Haut geht und der Zuschauer fühlt sich am Ende einfach nur scheiße! Ich weiß nicht wie oft ich den Film noch sehen werde, oder ob ich ihn überhaupt nochmal gucke, denn er geht wahnsinning unter die Haut und ist (zumindest für mich) sehr schwer anzusehen bzw. zu ertragen. Und das er dazu noch auf einer wahren Begebenheit beruht, macht das ganze noch schwerer. Aber ich kann nicht leugnen, dass er verdammt gut ist. Von mir gibt es sehr starke 9.5/10 Punkte!
 
S

stanleydobson

Guest
AW: An American Crime

ich hab das ende irgendwie nicht verstanden ab der stelle wo sie von paula aus dem keller geholt wurde und dann mit den eltern wieder zum haus fuhr und dann plötzlich tot am boden lag!?
 

BladeRunner2007

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AW: An American Crime

ich hab das ende irgendwie nicht verstanden ab der stelle wo sie von paula aus dem keller geholt wurde und dann mit den eltern wieder zum haus fuhr und dann plötzlich tot am boden lag!?

Das hat sie sich bloß eingebildet in dem Moment als sie starb. Deswegen sieht sie sich in der Szene praktisch selbst sterben.
 

crizzero

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AW: An American Crime

ich hab das ende irgendwie nicht verstanden ab der stelle wo sie von paula aus dem keller geholt wurde und dann mit den eltern wieder zum haus fuhr und dann plötzlich tot am boden lag!?

Das war eine finale Es-wird-alles-wieder-gut-Hoffnung, die sie sich erträumt hat. Letztlich betont es diese schockierende Dramatik am Ende aber umso besser, dass man zunächst noch auf die falsche Fährte eines Happy Ends gelockt wird...
 

mr.bauer

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AW: An American Crime

@Russel: Ich fand das Verhalten der (Raben)Mutter doch sehr absurd. Das konnte ich
in keinster Weise nachvollziehen, sicherlich sind die Verhaltensmuster anderer Bösewichter aus anderen Streifen auch nicht wirklich nachvollziehbar aber noch nie fand ich es so daneben wie hier.
Geschockt hat mich der Streifen auch nicht wirklich da hab ich schlimmeres erwartet, sicherlich war das fürchterlich und unbeschreiblich was dem Mädchen angetan wurde wenn man sich das mal vor Augen hält und der Frau kann man eigentlich nur die Gaskammer oder was Ähnliches wünschen aber wie ich neulich schon mal schrieb ist es glaub ich soweit dass man heutzutage schon vieles sah und doch enorm abgestumpft ist.
 

dax

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AW: An American Crime

aber wie ich neulich schon mal schrieb ist es glaub ich soweit dass man heutzutage schon vieles sah und doch enorm abgestumpft ist.

Nur das dieser Film leider nicht fiktiv ist, sondern auf wahren Begebenheiten beruht.
Das hält mich u.a. bisher davon ab mir den Film anzusehen.
 

mr.bauer

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AW: An American Crime

Nur das dieser Film leider nicht fiktiv ist, sondern auf wahren Begebenheiten beruht.
Das hält mich u.a. bisher davon ab mir den Film anzusehen.

Ja da hast du Recht aber es ist trotz allem immer noch ein Film. Vielleicht hätte die Inszenierung noch intensiver sein können.
 

deadlyfriend

Casting
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AW: An American Crime

Mr.Bauer ist da scheinbar wirklich abgebrüht, ohne "An American crime" gesehen zu haben. Muß ich allerdings auch nicht. Er hat schon einige Filme aus der Sicht eines Kühlschranks bewertet, was ich natürlich als völlig in Ordnung befinde. Bin gespannt wie er Martyrs bewerten wird.
 

Willy Wonka

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AW: An American Crime

Sehr viele gute Worte zu einem sehr gelungen Film. Dennoch habe ich nicht so intensiv gefühlt wie manch anderen, aber dem Film, dem Regisseur und den Schauspielern kann man keine Fehler vorwerfen, da sie alle ganz große Arbeit gleistet haben.

Travis schrieb:
Noch nie zuvor hatte ich beim Betrachten eines Films den aufrichtigfen Wunsch, in die Handlung einsteigen und diese Höllenmutter persönlich zur Rechenschaft ziehen zu können. Ganz heftiges Teil, besonders vom psychologischen Standpunkt aus gesehen, den man nicht bedenkenlos weiterempfehlen kann.

Dann solltest du unbedingt Die Stadt der Blinden sehen, denn dieser Film hat bei mir alle Gefühle offenbart, welche ihr hier beschreibt. Wobei Die Stadt der Blinden im Gegensatz zu An American Crime nur reine Fiktion ist.
 

dax

Filmvisionaer
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Noch nie zuvor hatte ich beim Betrachten eines Films den aufrichtigfen Wunsch, in die Handlung einsteigen und diese Höllenmutter persönlich zur Rechenschaft ziehen zu können.

Das ging mir bei Eden Lake so, da wollte ich den Kids am liebsten auch alle Knochen brechen.
 
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