Auslöschung

Russel Faraday

Filmvisionaer
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#02 24.01.21 Russel Faraday
 
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Russel Faraday

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Auslöschung

Es ist eine Weile her, dass ich mich bemüßigt fühlte, eine KK zu verfassen. Die Gründe dafür waren so zahlreich wie meine Ausreden dagegen: es wurde schon alles zum entsprechenden Film gesagt, ich hatte gerade keine Lust, oder der Film war es nicht wert, nähere Betrachtung zu finden.

Gestern nun stand »Auslöschung« an. Ich hatte im Vorfeld ein bisschen was mitbekommen, aber der Titel lief irgendwie immer außerhalb meines Radars (vielleicht, weil ich »Ex Machina« nicht besonders mochte).

Kurz zur Handlung: ein außerirdischer Kugelblitz schlägt in einem Leuchtturm ein. Wenig später legt sich ein seltsames Energiefeld (der »Schimmer«) um selbigen und breitet sich langsam aus. Teams wurden im Laufe der Zeit in die Zone… pardon Area X geschickt, doch keiner kehrte zurück, bis eines Tages Kane, ein Soldat, der zu einem der Teams gehörte, plötzlich im Schlafzimmer seiner vermeintlichen Witwe steht und »Hallo, da bin ich wieder« schweigt. Witwe und ein Frauensonderkommando dringen daraufhin erneut in die Zo… Area X (ach verdammt, ich bleibe jetzt einfach bei »Zone«) ein.

Nach »Ex Machina» wurde Regisseur Alex Garland mit allerlei Lobhudelei umschmeichelt. Das nächste Projekt musste also wieder etwas außergewöhnlicher, intelligenter und Hauptsache nicht-mainstreamig sein. Freilich nicht zu sehr, um das Publikum nicht zu überfordern, gelle? Was lag also näher, als den ersten Teil einer damals noch nicht vollendeten Roman-Trilogie zu nehmen, der tausend Fragen aufwirft und nicht eine davon beantwortet? Nein, nichts lag näher.

Und damit haben wir schon das erste Problem von »Auslöschung«: alles ist nur ein diffuses Nichts von Handlung (sieht der Schimmer äußerlich durch Zufall wie die irisierende Hülle einer Seifenblase aus, oder will man hier schon mit dem Zaunpfahl winken, noch bevor der Film richtig begonnen hat?). Fragen werden aufgeworfen, nur um dann nie wieder Erwähnung zu finden. Beispiel gefällig: schon in einer der allerersten Szenen wird die Witwe (Lena, Natalie Portman) mit der Frage konfrontiert, wie sie monatelang in der Zone überleben konnte, obwohl ihre Rationen bestenfalls für zwei Wochen gereicht hätten? Ja, wie ist ihr dies nur gelungen? Keine Ahnung, Film. Denn du beantwortest diese Frage nicht. Etwas später, am ersten Morgen, stellen sich unsere Mädels gleich zwei Fragen: wann haben wir unsere Zelte aufgeschlagen, und wieso haben wir genug Rationen verbraucht, die darauf hindeuten, dass wir schon drei Tage drinnen sind statt nur einer Nacht? Wisst ihr es? Ich weiß es nicht, denn der Film beantwortet diese Frage nicht nur nicht, sondern lässt dieses Problem auch fortan völlig fallen.

Warum werden solch psychisch labilen Teammitglieder überhaupt auf die Mission geschickt? Allen ist klar, dass es ein supergefährliches Unterfangen ist, dem nicht einmal professionell ausgebildete Militärs gewachsen waren. Warum also nun untrainierte, seelisch angeknackste Drittligisten ins Rennen schmeißen, deren Charaktere uns buchstäblich mit einem einzigen Satz vorgestellt werden. Die Szene ist der Hammer: Lena und eine der anderen paddeln in ihrem Boot auf dem Expositionsfluss, als sich folgender Dialog entspannt: »Das ist A. Sie ist Alkoholikerin. Das da ist B, die sich die Arme ritzt, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Das da ist Jennifer Jason Leigh. Von der weiß keiner etwas. Ach ja, ich habe mal ein Kind verloren. Und du?« Ernsthaft? Ich soll irgendein Interesse an den Protagonistinnen haben, wenn nicht einmal der Film Interesse an ihnen hat? Ok, vielleicht entwickelt sich daraus ja noch etwas. Vielleicht schleppen die Damen ja deshalb seelischen Ballast mit sich herum, damit sie im weiteren Verlauf der Handlung damit konfrontiert werden, sich ihren Traumata stellen müssen, um entweder daran endgültig zu zerbrechen oder sie zu überwinden und am Ende bessere/stärkere Persönlichkeiten zu werden. In einem guten Film wäre das so. In »Auslöschung« ist das nicht so. Denn kaum werden oben genannte, in Ermangelung eines besseren Begriffs nenne ich es mal »Charakterisierungen«, geäußert, schon sind sie auch wieder vergessen und finden fortan keinerlei Erwähnung mehr. Ich für meinen Teil hakte das Team identifikationstechnisch als »Natalie Portman, Jennifer Jason Leigh, Rockys Adoptivnichte, die Kampflesbe und die eine mit der deutschen Synchronstimme von Kim Raver« ab. Wenn dem Film seine Figuren wumpe sind, sind sie's für mich auch.

Nehmen wir mal einen guten Film, der eine ähnliche Ausgangslage hat: »Stalker«. Sorry, Garland, den Vergleich musst du dir gefallen lassen, immerhin ist es eindeutig, dass du in dessen Richtung geschielt hast. In »Stalker» sind die drei Protagonisten auch schnell vorgestellt: der Professor (sprich: der Analytiker), der Schriftsteller (sprich: der Philosoph) und der Stalker (sprich: der Arbeiter). Doch während diese zunächst anonymen Figuren im Verlaufe ihrer Reise durch die Zone an Charakter gewinnen und uns ihre Motive nähergebracht werden, ist in »Auslöschung« davon praktisch nichts zu finden.

Selbst Jennifer Jason Leigh, gestandene Schauspielerin, die zunächst als taffe, selbstbewußte Psychologin eingeführt wird, wird zur Stichwortgeberin degradiert, sobald die Hühner die Zone betreten haben. Wir bekommen noch die Info hingeworfen, dass sie an Krebs erkrankt ist (was Lena zum Kommentar veranlasst: »Das dachte ich mir«, ohne dass wir erfahren würden, warum sie sich das denken konnte – es ist ja nicht so, dass die Doktorin einen Zettel an der Stirn hatte, auf dem dies geschrieben stand), aber auch das bleibt ebenso vage wie der Rest. Denn für die Handlung ist dies völlig bedeutungslos und findet (ich wiederhole mich) fortan keinerlei Erwähnung mehr.

Natürlich könnte man meinen: ok, wenn wir schon angeknackste Heldinnen haben, dann legen wir eine ordentliche Portion Konfliktpotenzial zwischen ihnen aus. Entweder lassen wir es eskalieren, oder aber sie müssen ihre Differenzen überwinden, weil sie nur in Zusammenarbeit ihr Ziel erreichen können. Äh… nein, auch das nicht. Es gibt genau eine Szene, die so etwas darzustellen versucht, aber die kommt an einer Stelle im Film, an dem die Konflikttreiberin bereits durchgeknallt ist und vermutlich jeden Baum oder jeden Tisch als Gegner angesehen hätte.

Vielmehr erinnert der Handlungsaufbau an ein Computerspiel: du startest, erkundest die Karte und wirst ab und an von irgendeinem Monster angefallen, das du niedermachen musst, um ins nächste Level zu gelangen. Genauso läuft dieser Film ab. Inklusive etwas Waffenpower. Auch das hat mich angenervt: als Blumenkroko (ok, Alligator) nach einer der Damen schnappt, eröffnet man das Feuer, ohne etwas zu treffen. Bis sich Lena (Ex-Soldatin) hinhockt, anlegt und einen Treffer landet. »Wo hast du so gut schießen gelernt?« Die Frage sollte wohl eher lauten, wieso ihr es nicht könnt? Schon klar, ihr seid keine Militärangehörigen, aber ihr tragt genug Kanonen mit euch herum, um eine kleine Revolution in Südamerika zu starten. Hat euch niemand gezeigt, wie man damit umgeht? Ich hätte das, wenn ich eine solche Mission zu organisieren hätte, ziemlich knorke gefunden. Aber was weiß ich schon?

Es ist natürlich nicht alles schlecht. Die Idee eines so fremdartigen Aliens, dessen Motive sich nicht erklären lassen, weil wir sein ganzes Wesen nicht erfassen können, ist toll und leider viel zu selten im Genre zu finden (letzten Endes ist die Bedrohung weder gut noch böse). Dass es der Lebensform vermutlich nicht einmal bewusst ist, dass sie Schaden anrichtet, ist ebenfalls ein interessanter Gedankengang. Auch optisch ist »Auslöschung« hübsch in Szene gesetzt: mit Flora gewürzte Fauna-DNS – das kann sich sehen lassen. Die Natur, die in drei Jahren die ehemals bewohnten und nun verlassenen Gebiete in der Zone zurückerobert hat, ist gut dargestellt. Das behäbige Erzähltempo hat mir ebenfalls gefallen. Auch ist hier und da einiges wirklich mysteriös und spannend.

Im Finale wird das freilich alles wieder niedergemacht (dabei meine ich nicht einmal die Auslöschung der Auslöschung, sondern die Auflösung am Ende von Lenas Verhör, das die Rahmenhandlung des Films liefert): da latscht sie, die ungeklärt x Wochen in einem Hochrisikogebiet zugebracht hat, frischfrommfröhlichfrei in der militärischen Anlage herum, dabei hat sie wenige Szenen zuvor mit einem Camping-Mikroskop bei einer Analyse ihres Blutes festgestellt, dass sie von was auch immer bereits infiziert wurde und a) entweder den Verstand verlieren oder b) sich zu einer Lebensform entwickeln wird, die wer weiß was anrichten kann. Kam denn niemand auf die Idee, sie nach ihrer Rückkehr mal durchzuchecken? Fiebermessen? Pulsfühlen… einen verdammten BLUTTEST MACHEN?

Das Ärgerliche an »Auslöschung« ist, dass der Film unglaubliches Potenzial hatte und leider überhaupt nichts daraus macht, im Gegenteil. Wir hätten hier ein intelligentes Drama haben können. Bekommen haben wir stattdessen einen außerordentlich dummen Film, der gerne klug wäre, es aber nicht ist und das ums Verrecken nicht einsehen will.
 
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Die wilde 13

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Danke für die sehr ausführliche KK! :hoch:

Ich fand Auslöschung bei meiner Sichtung vor fast 2 Jahren gut (vor allem von der Atmosphäre her) aber ich muss gestehen, das ich heute nach dem Lesen deiner Kritik so gut wie keine deiner besprochenen Szenen mehr vor dem inneren Auge hatte, was nach dieser relativ kurzen Zeit nach Erstsichtung nicht unbedingt für den Film spricht. Ganz anders verhält es sich da bei Garlands Ex Machina, da habe ich spontan viele Einstellungen im Kopf, die sofort wieder präsent sind obwohl dessen Sichtung doppelt so lange zurückliegt.

Bin jetzt sehr gespannt darauf, wie Auslöschung bei mir bei einer Zweitsichtung wirkt.
 

deadlyfriend

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Vielen Dank für die ausführliche Rezension! :rock:

Leider muss ich Dir widersprechen. Wie im Film dargestellt, weiß ich nur nicht warum :lol:Ich fand den nämlich saustark.
Allerdings kann ich es gerade nicht wirklich argumentieren. Ich weiß schonmal, das ich ihn atmosphärisch absolut packend fand. Hinzu kam eine verdammt geile und interessante Optik.
Aus der Erinnerung heraus, kann ich zumindest aber sagen, das ich eine Gruppe von suizidgefährdeten Menschen, die nicht am Leben hängen bzw. wissen, das sie nicht mehr lange haben, als einen weisen Entschluss für so eine Mission ansah.
Zusätzlich weiß ich noch, das ich sehr froh darüber war, das der Film nichts erklärt hat. Meistens sind mir die Erklärungen, die bei Filmen dieser Art stattfinden, zu dämlich. Deshalb freue ich mich immer, wenn sie dann besser weg bleiben. Dieses Phänomen ist halt rational nicht erklärbar und es hat halt eben seine eigenen Gesetze, die ebenfalls nicht rational zu erfassen sind. Eine Phantasiewelt eben, die aus logischen Gründen nicht greifbar ist. Genau dann, will ich keine Erklärungen :nice: Der Film hatte meines Erachtens nicht das Ziel, eine schlüssige Geschichte zu erzählen, sondern eher eine nicht greifbare Atmosphäre zu kreieren. Das ist ihm absolut gelungen. Allerdings schreibe ich das alles hier nicht mit frischen Erinnerungen, sondern nur aus der Bezugshaltung die ich noch zum Film habe. Aber den werde ich mit Sicherheit nochmal schauen, weil der mich bei der Erstsichtung auch nicht direkt wieder losgelassen hat.
 
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