15:17 to Paris

Willy Wonka

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Twin Peaks
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15:17 to Paris

Es ist schon ein großes Wagnis bei der Verfilmung einer Heldentat die realen Helden sich selbst spielen zu lassen. Das fehlende schauspielerische Talent ist fast durchweg spürbar und wird leider auch nur wenig von der deutschen Synchronisation kompensiert. Da die eigentliche Heldentat kaum Potenzial für einen ganzen Film bietet, wird diese in einem großen Rahmen gefasst, um auf diese Weise die außergewöhnliche Extremsituation im Kontrast zu einem sehr gewöhnlichen und normalen Leben zu setzen. Überwiegend passiert also nichts Spannendes. Im Schnelldurchlauf wird die Kindheit, Schulzeit und Armeezeit des Hauptdarstellers abgehandelt und im Anschluss wird ausgiebig der Europa-Trip des Hauptprotagonisten und seiner zwei Freunde zelebriert. Bis sie in den Zug nach Paris steigen und der Film endlich das zentrale Ereignis nachstellt.

Amerikaner, die nach einer Heldentat in Europa gefeiert werden, ist der ideale Stoff für den konservativen, patriotischen, republikanischen amerikanischen Zuschauer und reiht sich perfekt in das aktuelle Spätwerk Clint Eastwoods ein, der bereits mit „American Sniper“ und „Sully“ aktuelle amerikanische Heldengeschichten auf die große Leinwand brachte. Trotz der eingeschränkten Sichtweise gibt es in Hollywoodfilmen dieser Art immer wieder den Moment der Heraufbeschwörung einer Gemeinschaft, einer gegenseitigen Solidarität und eines schönen Happy Ends. Ungeachtet der amerikanischen Perspektive sollen uns die Geschichten zeigen, dass uns alle mehr verbindet als uns trennt. Solange wir uns gemeinsam gegen einen Feind wehren und ihn womöglich auch gemeinsam bekämpfen. Das mag zynisch klingen, aber die Logik ist bereits seit Jahrzehnten fester Bestandteil der amerikanischen Film-DNA. Nur die Rolle der Bösen wird immer mal wieder von anderen verkörpert.

Was bleibt am Ende für den europäischen Zuschauer übrig? Auch wenn der Film überwiegend aus belanglosen und langweiligen Handlungselementen besteht, die Hauptdarsteller nur über wenig schauspielerisches Talent verfügen und am Ende die Amerikaner als Retter und stolze Helden zelebriert werden, bietet uns der Film einen aktuellen Einblick in die amerikanischen Befindlichkeiten und die häufig heraufbeschworene amerikanische Seele. Allein die Tatsache, dass so eine Geschichte in dieser Form erzählt wird, verrät viel über die aktuelle Mentalität und Medialität der USA. Aus diesem Grund ist für mich der Film interessant. Dadurch, was der Film zeigt und wie er etwas zeigt, verrät er mehr über den gesellschaftspolitischen Alltag und den Umgang mit aktueller amerikanischer Geschichte als es den Machern vermutlich bewusst ist. Dieser Film ist schon jetzt ein höchst interessantes Zeitdokument und wird in Zukunft vielleicht weitere Rückschlüsse auf unsere damalige Gegenwart offenbaren.
 
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