Toni Erdmann

Despair

Filmvisionaer
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Filmkritiken
61
Toni Erdmann

Herrlich unaufgeregt inszenierte Tragikomödie über die kaum noch vorhandene Beziehung zwischen der karriereorientierten Ines und ihrem ein wenig aufs Abstellgleis geratenen Vater Winfried. Beide leben völlig unterschiedliche Leben und sind nicht nur räumlich voneinander getrennt. Erst als Winfried seine Tochter in Bukarest besucht, müssen sich beide intensiver miteinander auseinandersetzen. Was zu peinlichen Situationen führt - insbesondere, wenn Winfried als zwielichtige Kunstfigur Toni Erdmann seiner Tochter bei diversen Festivitäten und Businessmeetings nicht mehr von der Seite weicht...

Der Film schwankt kontinuierlich zwischen leisem Humor und einer gewissen Traurigkeit, verzichtet dabei aber vollkommen auf Pointenfeuerwerk, Kitsch oder gar Pathos. Diese Nüchternheit lässt die ohnehin hervorragend gespielten Protagonisten noch realer erscheinen. Gleichzeitig verläuft die Handlung völlig unberechenbar. Mal befindet man sich auf einem Empfang mit den „Reichen und Wichtigen“, mal wohnt man einer etwas aus dem Ruder laufenden Party bei, und irgendwann findet man sich auf dem Klo eines rumänischen Arbeiters wieder. Das kann verwirrend wirken, schafft aber sowohl herrlich skurrile als auch nachdenklich machende Situationen, die irgendwie lebensecht wirken. Denn scheinbar ganz nebenbei werden neben der gestörten Vater-Tochter-Beziehung diverse Auswüchse einer empathielosen, rein auf beruflichen Erfolg fixierten Weltanschauung aufgezeigt, inklusive einer Prise Culture-Clash und gänzlich ohne erhobenen Zeigefinger.

„Toni Erdmann“ ist aufgrund seiner nüchternen Art und seiner Lauflänge von gut zweieinhalb Stunden (ein paar Minuten weniger hätten vielleicht nicht geschadet) kein locker-leichtes Popcornkino für zwischendurch. Genauswenig ist er aber ein bedeutungsschwangerer Kunstkino-Brocken, der nur in Denkerpose und mit bereitliegendem Lexikon konsumierbar wäre. „Toni Erdmann“ ist einfach ein Film, der seine Geschichte erzählt, ohne sich um Genrekonventionen und die Sehgewohnheiten des Publikums zu scheren. Hier wird keine tausendfach gesehene Erfolgsformel wiedergekäut, um auf Nummer Sicher zu gehen.

9/10 Punkte

Btw: Irgendwie kam mir bei Toni Erdmanns Anblick desöfteren dieser Herr hier in den Sinn. :D
 
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