Die Jagd

2moulins

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Gesamtübersicht aller Kritiken zu Die Jagd:

#02 13.05.16 2moulins
 
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2moulins

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Die Jagd


Vorneweg: Ich gehe davon aus, dass das Folgende erst gelesen wird, wenn man den Film schon selbst gesehen hat. Ansonsten: Spoiler-Warnung, denn die Handlung wird weitestgehend dargestellt.

Der dänische Film von Thomas Vinterberg aus dem Jahre 2012 erzählt die Geschichte des 40-jährigen Lucas (Mads Mikkelsen), der mal Lehrer war, aber jetzt – nachdem seine Schule geschlossen hat – in einem Kindergarten in einem kleinen Dorf arbeitet, in dem fast jeder jeden kennt. Lucas kommt mit den Kindern sehr gut zurecht und ist bei diesen sehr beliebt.

Privat hat Lucas noch Probleme mit seiner Ex, da die Interessen hinsichtlich der Zeiten, wann er den gemeinsamen Sohn zu Gesicht bekommt, auseinander gehen. Ansonsten hat er jedoch einen ausgeprägten Freundeskreis und es läuft soweit alles harmonisch. Insbesondere ist sein Verhalten gegenüber den Kindergartenkindern geradezu vorbildlich.

Gerade hat er eine Beziehung mit einer ausländischen Köchin, die auch im Kindergarten beschäftigt ist, begonnen, als die kleine Klara, die 5-jährige Tochter seines besten Freundes, zu der ein ein besonders freundschaftliches Verhältnis hat, aus einer Trotzreaktion heraus etwas zur Kindergartenleiterin sagt, was diese so auslegen muss, dass es offensichtlich einen sexuellen Übergriff von Lucas ihr gegenüber gab. Die Kindergartenleiterin reagiert zunächst sehr besonnen, muss dann aber doch das Thema ansprechen und schickt Lucas in Urlaub. Sie informiert Kollegium und Eltern, wonach die Geschichte immer weiter eskaliert.

Seine Freunde wenden sich von ihm ab. Nur der Patenonkel seines Sohnes hält zu ihm. Er wird im Dorf geächtet, aus dem Supermarkt ’rausgeworfen, verliert den Job und wird verhaftet. Er muss einiges durchmachen und seine Lage wird allmählich recht verzweifelt. Es kommt dann auch zu tätlichen Auseinandersetzungen und Anschlägen – zunächst auf seinen Hund und dann auch auf ihn selbst. Es gibt Aussagen anderer Kinder, welche die Anschuldigungen zunächst untermauern, sich aber als unwahr herausstellen müssen, so dass es letztendlich nicht zu einer Verurteilung kommt.

Am Weihnachtsabend gelingt es Lucas, seinen besten Freund, also Klara’s Vater, zu überzeugen, dass er unschuldig ist. Auch Klara sagt mittlerweile ihrem Vater, dass sie nur etwas Dummes erzählte, Lucas ihr aber nie etwas angetan hat. Etwa ein Jahr später wird Lucas’ Sohn feierlich in den Jagdverein aufgenommen, und man begibt sich gemeinsam auf die Jagd. Scheinbar haben sich die Freunde Lucas wieder zugewandt und eingesehen, dass es sich bei der Geschichte aus dem Vorjahr um eine blöde Sache gehandelt hat, bei der sich Lucas nichts zu Schulden kommen ließ. Dann tritt ihm aber ein Jagdgefährte mit der Sonnen im Rücken entgegen.....

Mads Mikkelsen bringt hier eine tolle schauspielerische Leistung. Man kann gut mit ihm fühlen und möchte nicht in seiner Haut stecken. Man kann eigentlich keinem einen echten Vorwurf für ein falsches Verhalten machen. Die Reaktionen sind aus Sicht der jeweiligen Akteure nachvollziehbar. Die Kindergartenleiterin kann die Sache ja nicht einfach unter den Tisch kehren. Auch dass Klara’s Eltern sich von Lucas abwenden und ihrer Tochter Glauben schenken, ist verständlich. Dass man dann im Dorf über Lucas redet, ihn ächtet und sogar angreift, kann man ebenfalls verstehen. Wie würde man wohl selbst reagieren?

Leider ist es so, dass man aus einem solchen Verdacht kaum noch herauskommt. Selbst wenn sich im Nachhinein die Unschuld herausstellt, bleibt immer etwas an demjenigen hängen. Dass das Leben einfach so weiter läuft wie vor einer solchen Anschuldigung, kann man wohl ausschließen. Deshalb ist es keinem Mann zu wünschen, dass er einmal unschuldig in eine solche Situation kommt.

Der Film wurde 2012 in Cannes gezeigt und Mads Mikkelsen gewann den Darstellerpreis. Auch für den Auslands-Oscar gab es zumindest eine Nominierung.

Der Film wurde mit einer ruhigen, sehr angenehmen Kameraführung aufgenommen, bietet teilweise auch einige schöne Bilder, so z.B. auf der Jagd.

Ich gebe dem Film – wie bereits bei der Erstsichtung vor zwei Jahren – 10/10.
 
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Despair

Filmvisionaer
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Der Film zeigt wirklich eindringlich, wie aus scheinbar beiläufig kurz angerissenen Begebenheiten (Klara bekommt auf dem Tablet einen Porno zu Gesicht/Klara fühlt sich von Lucas zurückgewiesen) eine richtig fiese Nummer entstehen kann. Lucas' Werdegang vom allseits beliebten Kindergärtner zum im ganzen Dorf verachteten Ausgestoßenen könnte in der Realität so ähnlich stattfinden. Obwohl der ein oder andere Charakter etwas klischeehaft wirkt und genauso handelt, wie man das erwartet. Was mich zu meinem Hauptkritikpunkt an diesem Film führt: Die Handlung verläuft meist sehr vorhersehbar. Auch das Ende habe ich fast exakt vorausgeahnt
nur mit einem weitaus übleren Ausgang für Lucas. :D
Ansonsten hab' ich nix zu meckern. Besonders Mads Mikkelsen fand ich klasse.

8/10 Punkte
 

Tarantino1980

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Ich habe den Film gerade auch zuende gesehen und ich muss sagen das er wirklich sehr intensiv ist. Die Darstellung von Mads Mikkelsen ist wirklich super und auch wenn einiges natürlich recht klischeehaft dargestellt wird, so finde ich es dennoch sehr real. Den ganz ehrlich jeder Vater oder jede Mutter würde dem eingenen Kind glauben, noch dazu wenn es dann auch noch so verängstigt wirkt wie Klara. Und leider ist es ja auch häufig so das sexuelle Übergriffe auf Kinder meistens wirklich aus dem engsten Umfeld herraus entstehen. Für mich als junger Vater war dieser Film wirklich wie ein Faustschlag in die Magengegend da ich zum einen die Reaktion der Eltern sehr gut nachempfinden konnte, aber mich auch in die Opferrolle von Lucas sehr gut hineinempfinden konnte, da man wenn man mit anderen Kindern zwangsläufig häufiger in Kontakt kommt, schnell Opfer einer solchen Anschuldigung werden könnte. Es ist ja normal das man auch mit den anderen Kindern spielt, befreundeten Paaren mit Kindern aushilft indem man nicht nur sein Kind vom Sport oder sonstigem Verein abholt sondern auch die anderen mitnimmt. Oder das man sie eben mal zur Schule/Kita bringt, wenn die Freunde verhindert sind. Das sind sachen die ganz normal sind und natürlich baut man dann auch zu diesen Kindern ein Verhältnis auf. Ich selber habe im Freundeskreis Freunde die Kinder haben und natürlich beschäftigt man sich auch mit den Kindern, spielt mit Ihnen usw. Ich will mir garnicht vorstellen wie es wäre, wenn eines dieser Kinder einmal so eine Lüge, aus welchem Grund auch immer, über mich verbreiten würde. Und genau diesen realen Bezug hat der Film wirklich exzelent umgesetzt.

Aus Sicht der Eltern ist sowas das absolute Horrorszenario und man wünscht sich natürlich das sowas dem eigenem Kind nie passiert. Und wenn das eigene Kind sowas erzählen würde, würde man dies als Eltern natürlich ernst nehmen. Ich glaube ich selber würde nicht anderes reagieren, weil es eben für solche abartigen Handlungen von Leuten die sich in dieser Weise an Kinder vergehen keine Entschuldigung oder Erklärung gibt! Ich hoffe das ich nie in die Situation komme das meine Tochter mir mal sowas erzählt, sei es als Lüge oder aber als bittere Wahrheit. Aber wenn, ich würde es ernst nehmen.

Mads Mikkelsen hat die Rolle wirklich super gespielt. Ich denke jeder Mann kann sich da sehr gut hineinversetzen wie er sich gefühlt haben muss. Und wie 2moulins auch schon schrieb, selbst wenn die Unschuld bewiesen ist, bleibt immer ein Restzweifel und eine Unsicherheit zurück. Und dies wird man nicht mehr los. Ich bin der festen Überzeugung das die Anschuldigung alleine das Leben eines Mannes zerstört.

Ich bin mir sicher das dieser Film mich noch ein paar Tage beschäftigen wird. Ich kann jetzt auch nicht sagen das ich es genossen habe den Film zu sehen, das wäre von der Thematik einfach unpassend aber es ist ein Film der mir ein intensives Filmerlebnis beschwert hat und solche Filme sind eher selten in der heutigen Zeit.
 

2moulins

Filmgott
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.....so finde ich es dennoch sehr real. Den ganz ehrlich jeder Vater oder jede Mutter würde dem eingenen Kind glauben, noch dazu wenn es dann auch noch so verängstigt wirkt wie Klara. Und leider ist es ja auch häufig so das sexuelle Übergriffe auf Kinder meistens wirklich aus dem engsten Umfeld herraus entstehen. ...........
Aus Sicht der Eltern ist sowas das absolute Horrorszenario und man wünscht sich natürlich das sowas dem eigenem Kind nie passiert. Und wenn das eigene Kind sowas erzählen würde, würde man dies als Eltern natürlich ernst nehmen. Ich glaube ich selber würde nicht anderes reagieren, weil es eben für solche abartigen Handlungen von Leuten die sich in dieser Weise an Kinder vergehen keine Entschuldigung oder Erklärung gibt! Ich hoffe das ich nie in die Situation komme das meine Tochter mir mal sowas erzählt, sei es als Lüge oder aber als bittere Wahrheit. Aber wenn, ich würde es ernst nehmen........

Ich denke, es gehört zu den größten Horrorszenarien aller Eltern, dass ihre Kinder einmal an "den Falschen" geraten und Opfer eines sexuellen Missbrauchs oder sogar einer Tötung werden könnten. Man hat ja schon selbst als Kind eingebläut bekommen, zu keinem Fremden ins Auto zu steigen oder mit jemand zu gehen, den man nicht kennt. Man wurde auch vor "dem guten Onkel" (aber auch im Sinne eines Fremden, nicht eines wirklichen Onkels) gewarnt. Dasselbe gibt man an die eigenen Kinder weiter und hofft, dass nie etwas passiert.

Leider passieren solche schrecklichen Dinge aber auch sehr oft im Umfeld mit Vertrauten und Bekannten. Dass solche Ängste nicht unbegründet sind, zeigen ja die vielen Geschehnisse, die immer wieder als Licht kommen, so z.B. auch innerhalb der Katholischen Kirche, in Internaten, Schulen usw.

Ich finde auch, dass die Reaktionen der Eltern und aller anderen im Film sehr real und nachvollziehbar dargestellt werden. Natürlich glaubt man seinem Kind und nimmt ernst, was es sagt. Man kann sich ja auch nicht vorstellen, wie eine 5-jährige alleine auf eine solche Geschichte kommen kann. Also, muss 'was dran sein. Einfach übergehen kann man eine solche Sache ja nicht.

.... Für mich als junger Vater war dieser Film wirklich wie ein Faustschlag in die Magengegend da ich zum einen die Reaktion der Eltern sehr gut nachempfinden konnte, aber mich auch in die Opferrolle von Lucas sehr gut hineinempfinden konnte, da man wenn man mit anderen Kindern zwangsläufig häufiger in Kontakt kommt, schnell Opfer einer solchen Anschuldigung werden könnte. Es ist ja normal das man auch mit den anderen Kindern spielt, befreundeten Paaren mit Kindern aushilft indem man nicht nur sein Kind vom Sport oder sonstigem Verein abholt sondern auch die anderen mitnimmt. Oder das man sie eben mal zur Schule/Kita bringt, wenn die Freunde verhindert sind. Das sind sachen die ganz normal sind und natürlich baut man dann auch zu diesen Kindern ein Verhältnis auf. ......

Noch härter dürfte der Faustschlag in die Magengrube sein, wenn dem Kind wirklich etwas widerfahren wäre.

Was die dargestellte (falsche) Anschuldigung von Lucas anbelangt, so dürfte das wohl eher der seltenere Fall sein. Die von Dir geschilderten Kontakte mit anderen Familien und Kindern dürften alltäglich sein. Ich kenne das genauso aus dem eigenen Umfeld. Gott sei Dank entstehen daraus sicherlich höchst selten solche Geschichten wie im Film. Ich denke, das muss man nicht wirklich befürchten, dass man mit so etwas konfrontiert wird.

Anders sieht es aus, wenn man sich überlegt, wie man sich grundsätzlich zu Kindern verhalten soll/muss, um nicht einmal mit einem solchen Verdacht oder einer solchen Anschuldigung konfrontiert zu werden. Man stelle sich vor, man trifft auf ein weinendes Kind, das offensichtlich alleine unterwegs ist und Hilfe braucht. Natürlich will man helfen. Aber so ein Kind auf den Arm oder an die Hand zu nehmen ist schon ein Tabu, weil vielleicht jemand denken könnte, man führe Böses im Schilde. In dieser Beziehung haben sich die Zeiten in den letzten Jahrzehnten meines Erachtens auch geändert. Früher war das nicht so präsent wie heute, was sicherlich auch den heutigen Medien geschuldet ist, wo ja alles schnell verbreitet wird und man auch den Eindruck vermittelt bekommt, dass die Gefahren und Bösartigkeiten zugenommen haben (was wahrscheinlich auch zutrifft).

....Ich will mir garnicht vorstellen wie es wäre, wenn eines dieser Kinder einmal so eine Lüge, aus welchem Grund auch immer, über mich verbreiten würde. Und genau diesen realen Bezug hat der Film wirklich exzelent umgesetzt. .....

Die kleine Klara, die ich schauspielerisch übrigens auch toll dargestellt fand, hat in ihrer kindlichen Art etwas gesagt, dessen Tragweite sie ja natürlicherweise selbst gar nicht richtig einordnen konnte. Sie war sauer auf Lucas und wollte "etwas Dummes" über ihn sagen. Weil sie kurz zuvor die Porno-Aufnahme auf dem Tablet des Jungen sah und dessen Reaktion wahrnahm, meinte sie wohl, sie könne Lucas eins "auswischen", wenn sie etwas in diesem Zusammenhang sagt. Man kann das im Grunde auch nicht als Lüge definieren, denn es bestand ja kein Vorsatz. Vielmehr wusste das Kind ja nichts von der Bedeutung seiner Aussage. Lucas hat ihr das ja auch nie übel genommen. Er begegnete ihr weiterhin freundlich und verständnisvoll. Überhaupt war Lucas's Verhalten vorbildlich - so z.B. auch seine Reaktion auf den Kuss, was aber leider letztendlich mitverantwortlich für Klara's "Trotzreaktion" war.

......selbst wenn die Unschuld bewiesen ist, bleibt immer ein Restzweifel und eine Unsicherheit zurück. Und dies wird man nicht mehr los. Ich bin der festen Überzeugung das die Anschuldigung alleine das Leben eines Mannes zerstört.

Das ist das eigentlich Tragische an der Geschichte. Wenn man mit so etwas konfrontiert wird, hat man schon verloren.

Selbst als Zuschauer fragte ich mich in der Szene gegen Ende des Films, als Lucas die kleine Klara auf den Arm nimmt, (um sie über einen Boden mit vielen Linien zu tragen), ob das noch so unbedarft "erlaubt" ist. Sollte er das nicht besser bleiben lassen? Dabei ist es aber doch etwas ganz Normales.

......
Ich bin mir sicher das dieser Film mich noch ein paar Tage beschäftigen wird. Ich kann jetzt auch nicht sagen das ich es genossen habe den Film zu sehen, das wäre von der Thematik einfach unpassend aber es ist ein Film der mir ein intensives Filmerlebnis beschwert hat und solche Filme sind eher selten in der heutigen Zeit.

Meist sind es gerade solche Filme, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und einen beschäftigen: Filme, die eher traurig stimmen und keinen vergnüglichen Filmabend bescheren. Wenn Sie realistisch 'rüberkommen und rundum gut gemacht sind - wie hier - können sie zu den Highlights einer Sammlung gehören.
 

Despair

Filmvisionaer
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Ich finde auch, dass die Reaktionen der Eltern und aller anderen im Film sehr real und nachvollziehbar dargestellt werden. Natürlich glaubt man seinem Kind und nimmt ernst, was es sagt.

Auf die Eltern mag das zutreffen. Bei der Kindergarten-Chefin wird's schon schwieriger. Sie sagt ja sogar, dass Klara gerne mal was erfindet. Komisch auch, dass sich die Polizei mit dem Kind scheinbar nicht weiter auseinandergesetzt zu haben scheint. Da würden heutzutage doch körperliche und psychologische Untersuchungen anstehen. Dazu die völlige Absenz von Medien. Möglicherweise wurde das mit Absicht völlig rausgelassen, weil sich Vinterbergs Film nicht dem Fall an sich, sondern den unmittelbaren Folgen im engeren Umfeld von Lucas auseinandersetzt.

Deshalb mutet der Film in manchen Situationen an, als habe die Handlung eigentlich 100 Jahre früher stattfinden müssen - bis zu den Fackeln und Mistgabeln schien es nicht mehr weit. Dann wäre es aber schwierig geworden mit einem männlichen Kindergärtner. :D Und die Aussage des Kindes hätte wohl kaum jemand ernst genommen bzw. Bedeutung beigemessen.
 

2moulins

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Auf die Eltern mag das zutreffen. Bei der Kindergarten-Chefin wird's schon schwieriger. Sie sagt ja sogar, dass Klara gerne mal was erfindet. Komisch auch, dass sich die Polizei mit dem Kind scheinbar nicht weiter auseinandergesetzt zu haben scheint. Da würden heutzutage doch körperliche und psychologische Untersuchungen anstehen. Dazu die völlige Absenz von Medien. Möglicherweise wurde das mit Absicht völlig rausgelassen, weil sich Vinterbergs Film nicht dem Fall an sich, sondern den unmittelbaren Folgen im engeren Umfeld von Lucas auseinandersetzt.

Gerade das Verhalten der Kindergarten-Chefin fand ich beeindruckend besonnen, da sie ja nicht sofort draufgesprungen ist, sondern noch einen Tag abwartete und einen Psychologen (war's wohl, oder?) heranzog, bevor sie reagierte.

Ja, Polizeiarbeit gab's ja - mit Ausnahme der Verhaftung - gar nicht. Auch die Tatsache, dass Lucas nicht angeklagt wurde, erfuhr man nur beiläufig. Dem Regisseur war das wohl tatsächlich nebensächlich.
 

Tarantino1980

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Was die dargestellte (falsche) Anschuldigung von Lucas anbelangt, so dürfte das wohl eher der seltenere Fall sein. Die von Dir geschilderten Kontakte mit anderen Familien und Kindern dürften alltäglich sein. Ich kenne das genauso aus dem eigenen Umfeld. Gott sei Dank entstehen daraus sicherlich höchst selten solche Geschichten wie im Film. Ich denke, das muss man nicht wirklich befürchten, dass man mit so etwas konfrontiert wird.

Ich gebe Dir natürlich absolut Recht das die Geschehnisse im Film natürlich schon sehr extrem dargestellt sind und die Angst, das sowas einem selber passiert natürlich sehr klein ist. Aber sie ist im Hinterkopf natürlich irgendwo verankert und das hat der Film sehr deutlich gemacht wie schnell man Opfer einer solchen Anschuldigung werden kann!

Anders sieht es aus, wenn man sich überlegt, wie man sich grundsätzlich zu Kindern verhalten soll/muss, um nicht einmal mit einem solchen Verdacht oder einer solchen Anschuldigung konfrontiert zu werden. Man stelle sich vor, man trifft auf ein weinendes Kind, das offensichtlich alleine unterwegs ist und Hilfe braucht. Natürlich will man helfen. Aber so ein Kind auf den Arm oder an die Hand zu nehmen ist schon ein Tabu, weil vielleicht jemand denken könnte, man führe Böses im Schilde. In dieser Beziehung haben sich die Zeiten in den letzten Jahrzehnten meines Erachtens auch geändert. Früher war das nicht so präsent wie heute, was sicherlich auch den heutigen Medien geschuldet ist, wo ja alles schnell verbreitet wird und man auch den Eindruck vermittelt bekommt, dass die Gefahren und Bösartigkeiten zugenommen haben (was wahrscheinlich auch zutrifft).

Ein sehr schönes Beispiel dafür wie krank unsere Gesellschaft leider geworden ist. In meiner Kindheit, ich muss dazu sagen das ich ländlich aufgewachsen bin, war es absolut üblich das man auch von fremden Erwachsenen Hilfe bekam wenn man sie nötig hatte. Und wenn man die Hilfe als Kind angeboten bekam hat man sie natürlich auch dankend angenommen. Aber heute ist dies leider schwierig geworden. Gerade das von Dir angesprochene Szenario man sieht ein Kind offenbar alleine und Hilfesuchend irgendwo wäre glaub ich intuitiv gesehen für jeden Erwachsenen kein Problem es zu lösen. Man würde, also jetzt wirklich nur aus reiner intuitver sicht, natürlich zu dem Kind gehen, es beruhigen um herrauszufinden was los ist. Und wenn es halt notwendig wäre das Kind zu umarmen oder es auf den Arm zu nehmen würde man es natürlich tun. Aber genau hier liegt in der heutigen Gesellschaft das Problem. Was würden außenstehende denken wenn ein Fremder auf ein weinendes Kind zu geht und es umarmen würde. Ich denke die Antwort kennt jeder. Und das ist das traurige. Natürlich gibt es leider viele kranke Leute in unserer Gesellschaft, aber ich glaube genausoviele gutherzige Leute die nichts böses im Schilde führen sondern einfach nur diesem Kind helfen wollen würden, ohne auch nur den Ansatz eines bösen Gedankens dabei zu haben.

Die kleine Klara, die ich schauspielerisch übrigens auch toll dargestellt fand, hat in ihrer kindlichen Art etwas gesagt, dessen Tragweite sie ja natürlicherweise selbst gar nicht richtig einordnen konnte. Sie war sauer auf Lucas und wollte "etwas Dummes" über ihn sagen. Weil sie kurz zuvor die Porno-Aufnahme auf dem Tablet des Jungen sah und dessen Reaktion wahrnahm, meinte sie wohl, sie könne Lucas eins "auswischen", wenn sie etwas in diesem Zusammenhang sagt. Man kann das im Grunde auch nicht als Lüge definieren, denn es bestand ja kein Vorsatz. Vielmehr wusste das Kind ja nichts von der Bedeutung seiner Aussage. Lucas hat ihr das ja auch nie übel genommen. Er begegnete ihr weiterhin freundlich und verständnisvoll. Überhaupt war Lucas's Verhalten vorbildlich - so z.B. auch seine Reaktion auf den Kuss, was aber leider letztendlich mitverantwortlich für Klara's "Trotzreaktion" war.

Auch sehr schön zusammen gefasst und festgestellt. Die junge Darstellerin von Klara hat hier auch wirklich einen tollen Job gemacht. Und Du hast natürlich recht, es war keine Lüge von Klara sondern eben eine kindlich naive Aussage von ihr, dessen Tragweite sie natürlich nicht vorhersehen konnte. In Klaras Augen war Lucas in dem Moment einfach nur blöd und sie wollte ihm halt eins auswischen. Also hat sie was gesagt, was natürlich nicht stimmt. Sein Verhalten war definitiv Vorbildlich! Umso schokierender war es natürlich das man ausgerechnet diesem Mann diese schlimmen Sachen vorgeworfen hat.


Selbst als Zuschauer fragte ich mich in der Szene gegen Ende des Films, als Lucas die kleine Klara auf den Arm nimmt, (um sie über einen Boden mit vielen Linien zu tragen), ob das noch so unbedarft "erlaubt" ist. Sollte er das nicht besser bleiben lassen? Dabei ist es aber doch etwas ganz Normales.

Die von Dir angesprochene Szene fand ich auch bärenstark. Für Klara war der Vorfall natürlcih schon längst vergessen, sie hat ja auch in Gänze nicht verstanden was da genau alles passiert ist. Als Zuschauer hatte man in der Szene definitiv einen Kloß im Hals sitzen, obwohl ja nichts passiert war. Also weder Lucas sie angefasst hatte noch schlimmeres. Er hat einfach wieder da angesetzt wo sie vorher standen, nämlich als ein netter Erwachsener mit dem Klara gerne zusammen spielt. Aber dennoch habe auch ich mich bei genau dieser Szene dabei ertappt das ich denke "Mach es besser nicht, was ist wenn das jetzt einer sieht", obwohl ja wie gesagt rein garnichts passiert ist!

Auf die Eltern mag das zutreffen. Bei der Kindergarten-Chefin wird's schon schwieriger. Sie sagt ja sogar, dass Klara gerne mal was erfindet. Komisch auch, dass sich die Polizei mit dem Kind scheinbar nicht weiter auseinandergesetzt zu haben scheint. Da würden heutzutage doch körperliche und psychologische Untersuchungen anstehen. Dazu die völlige Absenz von Medien. Möglicherweise wurde das mit Absicht völlig rausgelassen, weil sich Vinterbergs Film nicht dem Fall an sich, sondern den unmittelbaren Folgen im engeren Umfeld von Lucas auseinandersetzt.

Deshalb mutet der Film in manchen Situationen an, als habe die Handlung eigentlich 100 Jahre früher stattfinden müssen - bis zu den Fackeln und Mistgabeln schien es nicht mehr weit. Dann wäre es aber schwierig geworden mit einem männlichen Kindergärtner. :D Und die Aussage des Kindes hätte wohl kaum jemand ernst genommen bzw. Bedeutung beigemessen.

Die Kindergartenleiterin war in meinen Augen auch sehr merkwürdig. Gerade das Sie selber sagte das Klara gerne mal was erfindet machte es für ich auch sehr schwierig nachzuvollziehen was da passiert ist. Aber natürlich muss man sowas ernst nehmen. Jedoch das Gespräch mit diesem Psychologen fand ich auch recht bizarr, weil es für mich so wirkte als ob er quasi Klara Worte in den Mund gelegt hat. Ich denke hätte man das anders angestellt, vorallem im Beisein der Eltern wäre es vielleicht erst garnicht so weit gekommen. Ich hoffe nur für die Leute die demnächst auf meine Tochter aufpassen wenn sie in die Kita geht und später halt zur Schule, das solche Gespräche nie stattfinden ohne das ich als Vater etwas davon weiß. Den sonst haben die echt einen Verrückten bei sich auf der Matte stehen. Gerade in so einem Alter finde ich es unverantwortlich wenn solch ein wichtiges Gespräch mit dem Kind ohne eine vertraute Person wie die Mutter oder den Vater stattfindet. Denn egal wie gut solche Leute in ihrem Job sind, niemand kennt das eigene Kind besser wie die Eltern selbst. Und ich bin mir ziemlich sicher, das hätte dieses Gespräch mit den Eltern stattgefunden hätte sie bestimmt etwas bemerkt, also das es im Grunde nicht stimmen kann was Klara da erzählt hat.

Lustig finde ich auch Deinen Vergleich dsa die Handlung 100 Jahre hätte früher hätte stattfinden können und man Lucas mit Faclekn und Mistgabeln durchs Dorf gejagt hätte. Das war in der Tat etwas unrealisitsch das man rein garnichts von den Medien mitbekommen hat und auch die Polizeiarbeit sehr im Hintergrund des Filmes war. Auch das es Quasi ein Freispruch für Lucas war, hat man ja nur so am Rande mitbekommen, was ich aber auch persönlich nicht so schlimm fand, weil es zum einen halt für mich nicht der Fokus des Filmes war, aber zum anderen halt auch für mich eine typische Erzählweise von skandinavischen Filmen darstellt. Wäre es ein Hollywood Film gewesen wäre Lucas natürlich in U-Haft zu sehen gewesen, man hätte gesehen wie er dort von den Insassen verprügelt wird, es wäre eine große Gerichtsverhandlung geworden mit öffentlichen Medienrummel usw. Aber das hätte für mich dann den Realismus des Filmes zerstört, eben weil der Regisseur Thomas Vinterberg einfach eine ganz andere Art der Inszennierung gewählt hat. Ich glaube auch er hat bewusst diese altertümliche Ecke Dänemarks ausgewählt und keine anonyme Großstadt, um das Ganze auch eben real wirken zu lassen. In einer Großstadt hätte es niemand sofort mitbekommen und ich glaube auch nicht, das ein Einzelfall groß in den Medien erwähnung finden würde. Jedenfalls nicht mit solch einem Ausmaß das die komplette Belegschaft eines Supermarktes in New York Lucas verprügelt und rausgeworfen hätte. Diese Szene fand ich übrigens auch sehr extrem aber nachvollziehbar. Aber ich stimme Dir absolut zu Despair der Film ist stellenweise schon etwas konstruiert und "altertümlich von den Handlungsweisen" her.
 

Despair

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Ein bisschen schade finde ich auch, dass dem Zuschauer von Anfang an klar ist, dass Lucas komplett unschuldig ist. So kann man zwar das Verhalten der Leute (z. B. Klaras Eltern) größtenteils verstehen, möchte ihnen aber zurufen: "Ihr habt Unrecht, der Mann hat nix gemacht!" Spannender wäre gewesen zu sehen, wie sich eine kleine Prise Restzweifel an Lucas' Unschuld auf die Sympathieverteilung beim Zuschauer ausgewirkt hätte.

@2moulins:
Bekommt man im alternativen Ende eine Auflösung? Oder bleibt es bei der Figur mit der Sonne im Rücken?
 

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Eine sehr schöne Diskussion, bei der ich mich jetzt auch endlich beteiligen möchte. Ich habe den Film letztes Wochenende mit meiner Freundin zusammen gesehen und ich fand den Film unglaublich intensiv, wie viele Filme von Thomas Vinterberg, da er sich häufig auf eine Perspektive konzentriert und diese detailreich darstellt.

Dazu die völlige Absenz von Medien. Möglicherweise wurde das mit Absicht völlig rausgelassen, weil sich Vinterbergs Film nicht dem Fall an sich, sondern den unmittelbaren Folgen im engeren Umfeld von Lucas auseinandersetzt.

Dadurch, dass sich der Film so auf einen Punkt konzentriert hat, wirkte er auf mich so intensiv. Als Zuschauer wurden wir in vielen Punkten im Dunkeln gelassen, sodass die ganze Jagd auf Lucas noch bedrohlicher wirkte. Wären die Medien und/oder die Polizeiarbeit einbezogen worden, hätte sich der Film vielmehr mit den Fall an sich beschäftigt, aber Vinterberg wollte bewusst die Hetzte gegen Lucas und wie er damit umgeht ins Zentrum rücken. In vielen Dingen wirkte es natürlich altertümlich, aber es wirkte für mich keinesfalls antiquiert.

Überhaupt war Lucas's Verhalten vorbildlich - so z.B. auch seine Reaktion auf den Kuss, was aber leider letztendlich mitverantwortlich für Klara's "Trotzreaktion" war.

Mich hat nur gewundert, dass er diesen Kuss nie erwähnt hat. Vielleicht wäre einigen Personen durch diese Geschichte aufmerksam darauf geworden, dass Klara auf Lucas sauer ist und aus Trotz etwas erfindet.

Ein bisschen schade finde ich auch, dass dem Zuschauer von Anfang an klar ist, dass Lucas komplett unschuldig ist. So kann man zwar das Verhalten der Leute (z. B. Klaras Eltern) größtenteils verstehen, möchte ihnen aber zurufen: "Ihr habt Unrecht, der Mann hat nix gemacht!" Spannender wäre gewesen zu sehen, wie sich eine kleine Prise Restzweifel an Lucas' Unschuld auf die Sympathieverteilung beim Zuschauer ausgewirkt hätte.

Dann wäre es schlussendlich ein anderer Film und vor ein Film mit einer anderen Aussage geworden. Ich gehe davon aus, dass Vinterberg bewusst diese Jagd auf einen vermeintlichen Pädophilen illustrieren und auf diese Weise der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten wollte. Denn wie Tarantino1980 und 2moulins schon sagten, scheinen wir aktuell in unserer Gesellschaft sehr empfindlich auf dieses Thema zu reagieren. Wenn ein Mann - die Betonung liegt hier vor allem auf Mann - mit einem Kind spielt oder es einem Kind hilft, besteht durchaus die Gefahr, dass ein Kind bewusst oder unbewusst den Mann des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Auch Lehrer müssen in dieser Hinsicht aufmerksam sein und bei problematischen Schülerinnen oder Schüler darauf achten, dass sie nie allein mit ihm oder ihr im Klassenzimmer sind. Hätte der Film die Schuldfrage von Lucas als Thriller inszeniert oder am Ende gar die Geschichte nicht aufgelöst, hätte Vinterberg nur ein weiteren Mosaikstein zu einem empfindlichen Thema in unserer Gesellschaft beigetragen und jede Partei hätte den Film für sich instrumentalisieren können, um darzulegen, dass es entweder mehr pädophile Menschen gibt, als man denkt und dass man sich vor ihnen schützen oder zumindest auf der Hut sein sollte oder das man beim Wort Missbrauch nicht automatisch vorverurteilen, sondern sich stattdessen wirklich näher mit dem Fall befassen sollte, bevor man urteilt.

Früher war das nicht so präsent wie heute, was sicherlich auch den heutigen Medien geschuldet ist, wo ja alles schnell verbreitet wird und man auch den Eindruck vermittelt bekommt, dass die Gefahren und Bösartigkeiten zugenommen haben (was wahrscheinlich auch zutrifft).

Ich habe schon mehrmals gehört und gelesen, dass die Kriminalitätsräte in Bezug auf sexuellen Missbrauch von Kindern rückläufig ist und wir in Bezug auf unsere Kinder in sehr sicheren Zeiten leben. Natürlich habe ich aber gerade keine Quelle parat. Aber bei allen Statistiken sollte man die Dunkelziffer natürlich nie außer acht lassen. Dennoch vertrete ich die These, dass die Massenmedien das Bild unserer Gesellschaft in Bezug auf Kriminalität und Verbrechen massiv beeinflusst und wir heute auch aufgrund der Nachrichtenberichterstattung und Social Media in größerer Angst leben als vor 30 Jahren, obwohl die Kriminalitätsrate nicht unbedingt gestiegen ist.
 
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