Die verflixte Gastfreundschaft

Farman

Kleindarsteller
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#2 05.09.08 Farman
 
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Die verflixte Gastfreundschaft


Chaplin ist der Meister extremer Tonlagenschwankungen, seine Komödie unerreicht im Pendeln zwischen derbster und bösartigster Attacke seines Inhalts und einer Art spirituellen Sublimierung, Heiligsprechung. Die Sichtweise wechselt mehrfach zur gleichen Zeit zwischen einer misanthropischen und sentimentalen, immer gnadenlos und doch immer voll unerschöpflicher Gnade.
Buster Keaton hingegen ist als Schauspieler (mit einem Gesicht, das niemals lacht) wie als Regisseur verzweifelt auf der Suche nach einer geraden Linie: Das eine verkettet sich mit dem anderen und was passiert, das passiert eben. Beide sind Surrealisten, nur mit ganz verschiedenen Methoden: Bei Chaplin ist es immer die Alltagssituation, die Ausgangspunkt für das absurde Wunder ist, dass sich vor unseren Augen abspielt, bei Keaton hingegen ist es immer etwas haarsträubend Unwahrscheinliches, dessen Wunder für uns aber völlig heruntergespielt wird. Weil es soviel Spaß macht, werden wir mal etwas hochtrabend: Chaplin ist der Metaphysiker des alltäglichen, normalen, und als Regisseur ein großer Minimalist, Keaton hingegen ist der Materialist des Abwegigen und Extremen, als Regisseur ein kleiner Maximalist. So eine Gegensatzdefinition lässt sich ähnlich auf andere gemeinsame Zeitgenossen anwenden: John Ford (Chaplin) und Howard Hawks (Keaton) oder Robert Bresson (Chaplin) und Jean-Luc Godard (Keaton). Die Filme der Chaplins sind grundsätzlich immer plotlos, die Filme der Keatons brauchen oft einen Plot, auch wenn sie ihn im Laufe des Films ständig zermartern.

"Our Hospitality", Keatons zweiter Langfilm, ist sein erster Film mit einem richtigen Plot und sein erstes Langfilm-Meisterwerk. Der absurde Plot basiert auf Tatsachen: Anfang des 19. Jahrhunderts gab es einen generationsübergreifenden Clinch mehrerer Famillien in den noch jungen Vereinigten Staaten, der Film benutzt die wahre Geschichte der Familien Canfield und McKay, um (wie jeder andere Keatonfilm) eine klassische Romeo und Julia-Variation daraus zu stricken, und zwar so, wie es nur das heilige Genie eines Buster Keaton kann. Die Vereinigung der Verliebten auf den verschiedenen Seiten wird von Keaton anhand einer geraden Linie abgearbeitet, innerhalb derer die groteskesten und saukomischsten Verkettungen miteinander harmonisiert werden müssen, damit die Geschichte glücklich enden darf. Das erste Drittel des Filmes spielt auf einem sehr holprigen Zug, die zwei anderen Drittel in einer kleinen (harmonischen) Stadt, die nicht weniger entlarvt wird als Lumberton in David Lynchs "Blue Velvet". Wir sehen einen Haufen unwiederholbar brillanter Gageinfälle, deren Wirkung mit jedem Ansehen verdoppelt wird, und den vielleicht waghalsigsten Stunt der Filmgeschichte.

Aber bei dieser bescheidenen kleinen Komödie kann man, was sehr schade wäre, sehr schnell übersehen, was für ein unglaublich poetisches und wunderschönes Werk dahintersteckt. Da wäre erst einmal Buster Keaton selbst, dieser Mann, sein Gesicht, das niemals lacht: In Worte fassen lässt er sich nicht. Und wieviel Intimität und Melancholie in diesem Mann steckt, der überhaupt gar kein Pathos kennt, kann man nur erfahren, wenn man sich auf das unvergleichlich filmische und unverbalisierbare einlässt, dass das Schauspiel dieses Mannes erreicht.
Dann wäre da Buster Keaton, dieser Regisseur, der so subtil einen Film mit so einem großen Horizont dreht, aus dem nicht ein einziges Mal penetrant das Wörtchen "Kunst" spricht. Die ganze saukomische Sequenz auf dem holprigen Zug ist ein visuelles Gedicht, die gesamte Szene des Essens unter den Feinden eine groteske Vision der menschlichen Zivilisation. Keaton benutzt eine einfache Slapstickromanze völlig bescheiden als Vehikel für Fragen über Moderne und Altertum, Fortschritt und Tradition, Gewalt und Liebe, und vor allem (sein "Hauptthema") Bewegung und Stillstand, in direkter und in übertragener Form.

Einer meiner Lieblingsfilme.
 
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