Total Recall 2070 (TV-Serie)

Russel Faraday

Filmvisionaer
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Total Recall 2070


Im Jahr 2070: in einer namenlosen Großstadt gehören Androiden, die meist niedere Arbeiten verrichten, zum allgegenwärtigen Gesellschaftsbild. Die Polizei wurde abgeschafft und durch das CPB, das Citizens Protection Bureau, ersetzt, das deren Aufgaben übernommen hat. Der CPB-Beamte David Hume verliert seinen Partner, der von einem abtrünnigen Androiden getötet wird, bei einem Einsatz und bekommt fortan einen neuen Kollegen zur Seite gestellt: Ian Farve, der sich bald als hochentwickelter Prototyp eines Androiden entpuppt, über dessen Herkunft ein großes Geheimnis schwebt. Hume und Farve haben von nun an allerlei Fälle zu lösen.

1999, in Zusammenarbeit des kanadischen und deutschen Fernsehens produziert, entstand eine kurzlebige TV-Serie, an die sich heute vermutlich kaum noch jemand erinnert (seinerzeit liefen die Episoden mit mäßigem Erfolg auf Pro7. Auf eine deutsche VÖ oder Wiederholung im FreeTV wartet der Zuschauer seither vergebens). Und auch wenn der irreführende Titel eine Verwandtschaft zum im Kino sehr erfolgreichen Verhoeven-Film nahelegen will, so wird schon bei der obigen Inhaltsangabe deutlich, wer hier tatsächlich Pate für das Projekt stand: „Blade Runner“ (beide Werke übrigens eher frei auf literarischen Vorlagen Phlip K. Dicks basierend). Das zeigt sich vor allem in der Optik der Serie, die, wenn auch im kleineren Rahmen, stets und ständig beim großen Vorbild „geborgt“ wurde: Überbevölkerung, Dauerregen, permanente Finsternis, Neon-Reklamen, kombinierte Alt+Neu-Architektur, Mode. All dies könnte direkt aus Ridley Scotts Film stammen, so dass die Anspielungen auf den „Total Recall“-Film mit wenigen Ausnahmen rasch erschöpft sind: es gibt eine Firma Rekall (inklusive fragwürdige, virtuelle Urlaubsreisen oder Sexfantastien), Menschen haben Kolonien auf dem Mars, und im Vorspann sind ein paar Fitzel aus dem Schwarzenegger-Actioner zusehen. Doch damit hat es sich dann auch schon.

Hätte man die Show „Blade Runner – Die Serie“ genannt, wäre man näher an der Wahrheit geblieben, denn das Vorbild setzt sich auch inhaltlich fort. Der Pilotfilm ist mehr oder weniger „Blade Runner“ im TV-Format (nur dass die künstlichen Menschen nicht „Replikanten“, sondern „Androiden“ genannt werden, und dass „Roy Batty“ dunkelhaarig ist ;) ). Sonst ist alles dem Scott-Film entlehnt, und auch der restliche Serienverlauf könnte noch als „Blade Runner“ durchgehen.

Und da haben wir schon das erste Problem der Serie: inhaltlich weicht man kaum von anderen Krimi-Serien ab. Es geht um Mord, Totschlag, Babyhandel, korrupte und intrigante Firmen und allgemein um Menschen, die böse Dinge tun. Daß sich alles im futuristischen Ambiente bewegt, kann nicht über die inhaltliche Einfallslosigkeit hinwegtäuschen, die die Serie in den meisten Episoden an den Tag legt. Zwar huschen ein paar bekannte Gesichter wie David Warner, Nick Mancuso, Martin Sheen oder Heino Ferch durchs Bild (sicher eine Quotenregelung, auf der die deutschen Geldgeber bestanden), aber ob deren Auftritte nun besonders gelungen sind, sei dahingestellt.

Die Serie traut sich nichts. Es gibt keine Überraschungen, kaum Originalität. Ein bisschen Gehirnwäsche hier, ein bisschen virtuelle Realität dort und die übliche Mischung aus (etwas) Sex und (etwas mehr) Crime. Inhaltlich nichts neues an der TV-Krimi-Einerlei-Front.

Weiterhin kann man den etwas zähen Spannungsaufbau der Episoden bemängeln. Meist stochern Hume und Farve in trüben Gewässer, tun ein paar Hinweise auf (die Fälle lösen sich dann immer irgendwie auf, nicht selten von allein), und am Ende gibt es dann und wann eine Schießerei. Aber die Serie hat kaum Tempo und (leider) nur wenig Charakterentwicklung. Hume ist am Ende mehr oder weniger der, der er am Anfang war, seine Ehefrau ebenfalls, auch wenn man hier eine Weile den Eindruck hatte, dass sich die Autoren mal was trauen würden (was sie dann aber doch nicht taten). Humes diverse Kollegen ragen ebenfalls kaum aus der Masse anderer Nebendarsteller. Mit Ausnahme des schmierigen Typens, der wie Kevin Spacey aussieht (Matthew Bennett, dem einen oder anderen aus „Battlestar Galactica“ bekannt), der aber immer auch nur schmierig bleibt.

Das dritte Problem ist denn auch noch der Hauptdarsteller des David Hume: Michael Easton. Selten einen so nichtssagenden 08/15-Typen gesehen. Mit nur eineinhalb Gesichtsausdrücken ausgestattet, hangelt er sich irgendwie durch die Episoden, bleibt dabei so blass wie eine Wasserleiche (und hat in etwa auch deren Ausstrahlung) und ist schon mit der kleinsten Szene, die etwas Drama beinhaltet, hoffnungslos überfordert. Ärgerlich. Ganz anders sein Kollege Karl Pruner als Alpha-Androide Farve. Der spielt das komplette Ensemble so was von an die Wand, dass es etwas verwundert, dass der Gute danach nicht noch größere Auftritte in anderen Produktionen absolvieren durfte (zumindest sind mir keine bekannt, die auch nach D geschwappt wären oder von denen ich sonst irgendwie Notiz genommen hätte; der Fehler könnte aber auch auf meiner Seite liegen). Ihm bei seinem Schauspiel zuzusehen, macht echt viel Spaß. Mit fast spielerischer Leichtigkeit gibt er seinem künstlichen Menschen Leben und Identität, als wäre die Rolle nur für ihn geschrieben worden. Unglaublich!

Klingt jetzt alles nach einem ziemlichen Verriss, aber irgendwie mag ich die Serie trotz all ihrer Schwächen. Die Optik ist toll (auch wenn die CGIs heute sichtlich gealtert sind; ein Fluch, den die meisten Effekte aus dem Computer miteinander teilen, die schon wenige Jahre nach ihrer Entstehung eher zum Amüsement denn zu fassungslosem Staunen ermuntern), die Atmo großartig (wieder lässt „Blade Runner“ grüßen), und vor allem Karl Pruner reißt es mächtig nach oben raus.

Da die Serie teuer in ihrer Herstellung war und nicht den gewünschten Erfolg hatte, wurde nur eine Staffel produziert und dann das Ende verkündet. Angefangene Handlungselemente werden ergo nicht aufgelöst, aber komplett in der Luft hängt man am Ende nun auch nicht. Der übergreifende Handlungsfaden ist vage und ohnehin nicht ausgereift genug, um von einem echten Cliffhanger am Schluß reden zu können. Wer weiß, wie sich eine zweite Staffel entwickelt hätte. Vielleicht wäre der Serie dann erst recht die Luft ausgegangen, vielleicht aber wäre man auch mutiger geworden und hätte die ultimative SF-Serie geschaffen. Aber wie heißt es so schön: „Hätte, hätte, Fahrradkette.“

So umfasst die Show nur 22 Episoden. Der eineinhalbstündige Pilotfilm ist der mit Abstand beste Beitrag der ganzen Serie, und der Rest bewegt sich inhaltlich leider viel zu sehr auf Nummer Sicher, was mich nicht von einem Totalausfall reden lässt (denn das ist „Total Recall 2070“ nun wirklich nicht), aber die Serie ist einfach nicht das geworden, was sie hätte sein können. Sich zierende Autoren, ein sehr schwacher Hauptdarsteller und eine gewisse Trägheit standen den ursprünglich vielleicht großen Ambitionen einfach im Weg.
 

Firefly

Filmvisionaer
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AW: Total Recall 2070 (TV-Serie)

TR 2070 hatte leider viele Schwierigkeiten, die meisten hast du genannt.
dennoch war sie sehr geil.
Und dass es heute noch immer diese Probleme bei Serien gibt, zeigte ja Caprica eindrucksvoll :(
Zu verwirrend, zu wenig getraut, zu brav,...

Hoffe bis heute auf eine VÖ von TR2070 auf Deutsch. den verdient hätte sie es auf jedenfall !!
 

Willy Wonka

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AW: Total Recall 2070 (TV-Serie)

Eine großartige Serienvorstellung und Kritik. Trotz der vielen Kritikpunkte hat die Kritik mein Interesse geweckt, um wenigstens mal einen Blick zu riskieren, aber dafür müsste die Serie wiederholt oder auf DVD erscheinen...

Vor deiner Kritik hatte ich auch noch nie etwas von der Serie gehört.
 
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