Amer

deadlyfriend

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Amer


Was ist "Amer"? Die wortgetreue Übersetzung wäre "bitter". Diesen Beigeschmack dürften viele Konsumenten haben, die sich nach dem Film fragen, was das alles sollte. Wer einen klar strukturierten Thriller mit Mord, Motiv und Auflösung haben wollte, dürfte sich mit Sicherheit ärgern. Das ist "Amer" auf keinen Fall. Was ist er aber dann? Ein Giallo, wie er im Vorfeld oftmals benannt wurde? Jein! Er hat viele Zutaten aus dem Subgenre, aber nicht die Struktur. Das Farbenspiel ist umwerfend und klar an Bava sowie Argento angelehnt. Die Bewunderung an die beiden Herrschaften ist deutlich und wird weit über das normale Maß zelebriert. Ob in der Farbgebung, der Locations oder der Kameraführung, alles riecht nach Giallo. Zudem sind die spärlichen Musikeinsätze grundsätzlich Originalwerke von Morricone oder Cipriani, die in alten Vertretern des Genre bereits zu hören waren. Trotzdem ist alles anders und auch wieder nicht. Es gibt kaum Dialoge, Musik ist selten zu vernehmen und keine Rätsel, wer denn hier nun der Bösewicht ist. Am ehesten kann man "Amer" als Kunstfilm in Giallo-Optik bezeichnen. Die Dreiteilung der Handlungsstränge, die fast völlig zusammenhanglos wirken, sind teilweise nicht erklärbar. Es wirkt auf den ersten Blick absolut konzeptlos und dennoch aufregend. Ein deutlicher Hang zu "Style over Substance" wird ihm nachgesagt und das ist auf den ersten Blick völlig korrekt. Zu sehr badet er in seinen eigenen Bildern, als das man irgendwann noch an eine tiefsinnigere Handlung glaubt. Doch halt! Vielleicht hat man auch etwas übersehen. Möglicherweise ist es doch nicht nur ein bunter Bilderrausch, der Kennern des Genres, Augen-Closeups von Fulci bietet. Eventuell ist hier doch etwas vergraben. So seltsam es klingen mag, aber dieser völlig overstylte Kunstfilm geht im Grunde in die Analyse. Er zerlegt den Giallo in seine Einzelteile, durchleuchtet ihn und bietet damals gerne genommene Rückblenden chronologisch. Ebenso die Motivationen hinter den Taten. Es kann aber auch sein, das ich völlig falsch liege und sich das Regie-Duo bei meinen Worten ins Fäustchen lachen würde.

Egal! "Amer" ist ein fantastischer Film der mich unglaublich beeindruckt hat und für mich einen hohen Wiederanschauungswert besitzt. Die Atmosphäre ist einfach phänomenal und in vielen Szenen kommt dadurch eine unglaubliche unterschwellige Spannung auf. Die Melange von Bild und Geräuschen ist überragend und sollte jedem Kunstfilmfan zusagen. Der Giallo-Fan kommt ebenfalls auf seine Kosten und wenn es nur der Wiedererkennungseffekt von vielen Szenen und Stilmitteln ist. Wer mit Filmexperimenten allerdings nicht viel anfangen kann und lieber klare Strukturen bevorzugt, sollte definitiv die Finger davon lassen.
 
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Tarantino1980

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AW: Amer

Sehr schöne Kritik deadly. Sie bestätigt nur meine bisherige Meinung über den Film das ich ihn mir umbedingt ansehen muss.
 

TheBjoern

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AW: Amer

Deine Kritik ließt sich ja mal richtig interessant. Also ich bin definitv neugierig geworden. Besonders folgende Beschreibungen haben mein Interesse geweckt:

Zudem sind die spärlichen Musikeinsätze grundsätzlich Originalwerke von Morricone oder Cipriani, die in alten Vertretern des Genre bereits zu hören waren.
[...]
Es gibt kaum Dialoge, Musik ist selten zu vernehmen und keine Rätsel, wer denn hier nun der Bösewicht ist.
[...]
Es wirkt auf den ersten Blick absolut konzeptlos und dennoch aufregend.
[...]
Die Melange von Bild und Geräuschen ist überragend und sollte jedem Kunstfilmfan zusagen.

Die letzte Aussage gab mir dann noch mehr Hoffnung, dass mir der Film gefallen könnte.

Wer mit Filmexperimenten allerdings nicht viel anfangen kann und lieber klare Strukturen bevorzugt, sollte definitiv die Finger davon lassen.


Zumal fühlte ich mich aufgrund folgender Aussage an meine Kritik zu "Enter the Void" erinnert:

Ein deutlicher Hang zu "Style over Substance" wird ihm nachgesagt und das ist auf den ersten Blick völlig korrekt.
[...]
Vielleicht hat man auch etwas übersehen. Möglicherweise ist es doch nicht nur ein bunter Bilderrausch

So fühlte ich mich auch bei "Enter the Void" ich vermag auch dort mehr zu sehen und war nebenbei vom Visuellen mehr als beeindruckt.

Nur frage ich mich, ob Du "Amer auch" mir empfehlen könntest, weil...

Ob in der Farbgebung, der Locations oder der Kameraführung, alles riecht nach Giallo.

... ich noch kein Werk von Giallo oder anderen Personen, die du genannt hattest kenne und ob es dadurch vieleicht einen Einstieg erschweren könnte?
 
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deadlyfriend

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AW: Amer

Nur frage ich mich, ob Du "Amer auch" mir empfehlen könntest, weil...



... ich noch kein Wer von Giallo oder anderen, die du genannt hattest kenne und ob es dadurch vieleicht einen Einstieg erschweren könnte?


Das ist verdammt schwierig zu beantworten. Ich kann mich schlecht in die Lage versetzen keinen einzigen Giallo gesehen zu haben und dann den Film bewerten.
Natürlich erkennt man mehr mit einer gewissen Grundbildung, da es ja doch eine Hommage ans Genre ist. Trotzdem denke ich mir das er aufgeschlossenen Filmfreunden auch ohne Kenntnisse gefallen müsste. Dafür ist die Inszenierung und der gesamte Stil einfach zu geil. Auf jeden Fall fände ich es aber spannend, wenn du ihn dir ohne Vorkenntnisse anschauen würdest. Das wäre für mich zumindest mal ein interessantes Urteil.

Ich musste halt währenddrin immer sofort an die Vorbilder denken. Bei starkem rot/blau Kontrast an "Suspiria", bei anderen Farbmischungen an "Horror Infernal" oder "Blutige Seide". Wenn dann noch verschiedene bekannte Musikeinsätze kommen, denkt man natürlich auch dran. Habe beispielsweise mitten im Film an "Der Tod trägt schwarzes Leder" denken müssen, weil ein Stück dort verwendet wurde. Verschiedene Treppeneinstellungen erinnerten mich an Argento oder an "Footprints". Aber auch ohne diese Dinge zu wissen, könnte es funktionieren. Ich wäre echt gespannt wie den jemand "Unbeteiligtes" wahrnimmt. Meine Freundin, ebenfalls ein Giallo Fan, fand ihn total genial. Aber sie hat dieses Wissen eben auch.

Allerdings gab mir die Passage "ich noch kein Wer von Giallo oder anderen" absolute Rätsel auf. Was meintest du damit?
 
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TheBjoern

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AW: Amer

Allerdings gab mir die Passage "ich noch kein Wer von Giallo oder anderen" absolute Rätsel auf. Was meintest du damit?

Ups! Ein Tippfehler. Das sollte "Werk" heißen. Habe es direkt verbessert.

Danke für deine Einschätzung. Ich werde den Titel genauer im Auge behalten und werde mir den sobald sich ein Schnäppchen offenbart zulegen. Er wird jetzt auf jeden Fall ohne jeglichen "Vorkenntnisse" angeschaut.
 

deadlyfriend

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AW: Amer

Ähm, ja. Jetzt, wo du so fragst wirkt mein Halbwissen ein wenig trügerisch :o.
Merkt man mir etwa an, dass ich von der Thematik noch nicht allzu viel Ahnung hab? :p



Es passte nur vom Satzbau her nicht so ganz, weshalb ich auch nicht auf den Tippfehler von "Werk" kam. Jetzt ist es klarer:)
Das Wort "Giallo" steht für ein italienisches Krimi-Genre das hauptsächlich zwischen 1964 und 1975 geprägt wurde. Hier mal ein Link zu Wikipedia, falls dich das interessiert.
 

TheBjoern

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AW: Amer

Danke für die Infos. Ich interessiere mich auch sehr wohl für den Link auf Wiki. Doch werde ich ihn mir vorerst nicht durchlesen. Ich möchte mich der Thematik ja ganz unbefangen nähern.
 

Russel Faraday

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AW: Amer

@deadly: wieso wußte ich schon vorher, daß dir der film gefallen würde? :D

ich persönlich fand ihn ganz schlimm. sicherlich toll anzusehen, aber teilweise schon hart an der schmerzgrenze nervtötend. besonders der zweite akt, "mit mutti beim friseur", hat mir nervöse gesichtszuckungen beschert, die ich gern in watschen an das haarlutschgör umgewandelt hätte. noch NIE zuvor habe ich derat intensive unsympathien für eine darstellerin aufgebracht. nach tollen auftakt im ersten drittel, hatte der film ab akt II komplett verloren.

ich hatte schon im "zuletzt gesehen" was drüber geschrieben und kopiere das einfach mal:

was für eine enttäuschung. den film kann man in etwa so zusammenfassen:

- die erste halbe stunde: die kleine Ana erwischt ihre eltern beim vögeln
- die zweite halbe stunde: Ana ist mittlerweile ein kotziges teenager-gör mit wilder zahnarchitektur und der widerlichen angewohnheit, an den eigenen haaren zu lutschen. auf dem weg mit mutti zum friseur
- die dritte halbe stunde: Ana ist eine junge frau, die mittlerweile beim kieferorthopäden war, dafür aber einen ziemlichen gesichtserker abbekommen hat und sich mit haaren und nippeln im eigenen vorgarten verfängt.

und als den machern klar wird, daß es in einem giallo auch irgendein verbrechen geben sollte, bringen sie in den letzten zehn minuten noch auf ziemlich hirnrissige art und weise einen maskierten killer nebst schwarzen handschuhen ins spiel.

==> 3/10
dabei war der auftakt wirklich stark und schön schaurig, mit ein paar sehr gelungenen "suspiria"-motiven.
 

deadlyfriend

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AW: Amer

Ich schätze mal das der Film 2 von 10 Leuten gefallen wird;) Dich rechne ich mal zu den Zweien:D

@deadly: wieso wußte ich schon vorher, daß dir der film gefallen würde? :D

Also ich hatte dich in die obige Rechnung auch nicht bei den Zweien mit eingerechnet:D



ich persönlich fand ihn ganz schlimm. sicherlich toll anzusehen, aber teilweise schon hart an der schmerzgrenze nervtötend. besonders der zweite akt, "mit mutti beim friseur", hat mir nervöse gesichtszuckungen beschert, die ich gern in watschen an das haarlutschgör umgewandelt hätte. noch NIE zuvor habe ich derat intensive unsympathien für eine darstellerin aufgebracht. nach tollen auftakt im ersten drittel, hatte der film ab akt II komplett verloren.

Ich war vom zweiten Akt anfänglich auch irritiert, aber alleine die gesamten Einstellungen als sie vor den Motorrädern umherstolziert, mit wechselnder Kamera
zwischen Schritt und Lippen, war fantastisch. Auch die Art der Darstellung ihrer Beziehung zur Mutter war hervorragend. Genauso wie ihre erwachende Sexualität innerhalb der Szenen.


was für eine enttäuschung. den film kann man in etwa so zusammenfassen:


- die erste halbe stunde: die kleine Ana erwischt ihre eltern beim vögeln

Das ist schon eine seltsame Reduzierung der kompletten Ereignisse auf eine Szene. Du bist sicher das du nicht nur Ausschnitte gesehen hast? Die erste halbe Stunde war, wenn ich "Black Swan" mal ausklammere, mit das Interessanteste was ich in den letzten Jahren gesehen habe.

- die zweite halbe stunde: Ana ist mittlerweile ein kotziges teenager-gör mit wilder zahnarchitektur und der widerlichen angewohnheit, an den eigenen haaren zu lutschen. auf dem weg mit mutti zum friseur

Siehe oben!

- die dritte halbe stunde: Ana ist eine junge frau, die mittlerweile beim kieferorthopäden war, dafür aber einen ziemlichen gesichtserker abbekommen hat und sich mit haaren und nippeln im eigenen vorgarten verfängt.

Auch hier sehe ich eher eine zynische Abrechnung im Vordergrund und keinesfalls eine Auseinandersetzung mit dem Gesehenen. Dies war ebenfalls nur eine winzige Szene, die äußerst stark fotografiert wurde.


und als den machern klar wird, daß es in einem giallo auch irgendein verbrechen geben sollte, bringen sie in den letzten zehn minuten noch auf ziemlich hirnrissige art und weise einen maskierten killer nebst schwarzen handschuhen ins spiel.

Hm, ich habe so die leise Vermutung das du wirklich kleinere Probleme mit dem Film hattest:D

==> 3/10
dabei war der auftakt wirklich stark und schön schaurig, mit ein paar sehr gelungenen "suspiria"-motiven.

Ich kann zu 100% nachvollziehen das dir der Film nicht gefallen hat. Damit dürftest du auch komplett in der Überzahl sein. Dafür ist das Gebotene zu ungewohnt, zu extrem in der Visualisierung und eben ganz anders in der Art wie man einen Film sonst macht. Mich hat die Art und Weise absolut fasziniert. Schau dir dann auch besser nie "Hotel" an. Das müsste für dich dann der Supergau sein, auch wenn ich die beiden nicht zwingend vergleichen kann.
 

Russel Faraday

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AW: Amer

Ich war vom zweiten Akt anfänglich auch irritiert, aber alleine die gesamten Einstellungen als sie vor den Motorrädern umherstolziert, mit wechselnder Kamera
zwischen Schritt und Lippen, war fantastisch. Auch die Art der Darstellung ihrer Beziehung zur Mutter war hervorragend. Genauso wie ihre erwachende Sexualität innerhalb der Szenen.
wie schon gesagt: sobald teenager-Ana auf der bildfläche erschien, war ich bedient. kennst du das, wenn du einen darsteller siehst und auf anhieb einfach haßt? so ging's mir mit eben jenem mädele, dem ich von der allerersten szene nichts als ablehnung entgegenbringen konnte. kann ich nicht erklären, aber dem ist so. nichtmal Tom Hanks kann solche emotionen in mir wecken (dabei gibt er sich redlich mühe :D )

Das ist schon eine seltsame Reduzierung der kompletten Ereignisse auf eine Szene. Du bist sicher das du nicht nur Ausschnitte gesehen hast? Die erste halbe Stunde war, wenn ich "Black Swan" mal ausklammere, mit das Interessanteste was ich in den letzten Jahren gesehen habe.
ok, da habe ich bei meiner damaligen bewertung übetrieben, weil mich das gesamtbild des films so maßlos enttäuscht hatte. die erste halbe stunde ist schon stark. allein die geräuschkulisse ist der hammer. dann die art der inszenierung. schauriger als in manchem gruselfilm. danach leider der bruch und eine rapide talfahrt in ungeahnte tiefen.



Auch hier sehe ich eher eine zynische Abrechnung im Vordergrund und keinesfalls eine Auseinandersetzung mit dem Gesehenen. Dies war ebenfalls nur eine winzige Szene, die äußerst stark fotografiert wurde.
siehe oben. der film hatte bereits verloren, und ich war nur noch angenervt. mag sein, daß die inszenierung noch auf hohem niveau stattfand, aber gerade die szenen im garten hatten etwas unglaublich lächerliches an sich, das es das miese bild, das ich mir vom film bereits gemacht hatte, nur noch untermauern konnte.

Hm, ich habe so die leise Vermutung das du wirklich kleinere Probleme mit dem Film hattest:D

ich wollte den film unbedingt mögen. seit ich damals die ersten ausschnitte sah (wir haben ja bereits im kinoforum darüber geredet), war ich sowas von gespannt, was da auf mich zukommen würde. und schon nach 30 minuten war alles in sich zusammengefallen, und die maßlose enttäuschung, die ich hatte, wurde von minute zu minute stärker und aussichtsloser.

Ich kann zu 100% nachvollziehen das dir der Film nicht gefallen hat. Damit dürftest du auch komplett in der Überzahl sein. Dafür ist das Gebotene zu ungewohnt, zu extrem in der Visualisierung und eben ganz anders in der Art wie man einen Film sonst macht. Mich hat die Art und Weise absolut fasziniert. Schau dir dann auch besser nie "Hotel" an. Das müsste für dich dann der Supergau sein, auch wenn ich die beiden nicht zwingend vergleichen kann.

ich bin der letzte, der etwas an einem "form über inhalt"-film auszusetzen hat. aber ein film sollte halbwegs ansatzpunkte oder identifikationsfiguren haben, um den zuschauer bei der stange zu halten und sich an den schauwerten zu ergötzen, wenn er schon keine "normale" narrative struktur hat. "Amer" geht das leider völlig ab, und so konnte der film bei mir überhaupt nicht landen.
 

Despair

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http://www.ofdb.de/film/190928,AmerEgal! "Amer" ist ein fantastischer Film der mich unglaublich beeindruckt hat und für mich einen hohen Wiederanschauungswert besitzt. Die Atmosphäre ist einfach phänomenal und in vielen Szenen kommt dadurch eine unglaubliche unterschwellige Spannung auf. Die Melange von Bild und Geräuschen ist überragend und sollte jedem Kunstfilmfan zusagen. Der Giallo-Fan kommt ebenfalls auf seine Kosten und wenn es nur der Wiedererkennungseffekt von vielen Szenen und Stilmitteln ist. Wer mit Filmexperimenten allerdings nicht viel anfangen kann und lieber klare Strukturen bevorzugt, sollte definitiv die Finger davon lassen.

Klingt sehr interessant. Und zwar so interessant, dass ich mich davon...

==> 3/10
dabei war der auftakt wirklich stark und schön schaurig, mit ein paar sehr gelungenen "suspiria"-motiven.

... nicht abschrecken lasse. :D

Ich fürchte nur, dass der Film in meiner "gut sortierten" Videothek nicht aufzufinden sein dürfte.
 

Russel Faraday

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AW: Amer

Klingt sehr interessant. Und zwar so interessant, dass ich mich davon...



... nicht abschrecken lasse. :D

Ich fürchte nur, dass der Film in meiner "gut sortierten" Videothek nicht aufzufinden sein dürfte.

die deutsche VÖ steht bislang noch aus. koch media wird den aber in absehbarer zeit rausbringen. ich wüßte nicht, warum er nicht auch in videotheken landen sollte.
 

deadlyfriend

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wie schon gesagt: sobald teenager-Ana auf der bildfläche erschien, war ich bedient. kennst du das, wenn du einen darsteller siehst und auf anhieb einfach haßt? so ging's mir mit eben jenem mädele, dem ich von der allerersten szene nichts als ablehnung entgegenbringen konnte. kann ich nicht erklären, aber dem ist so. nichtmal Tom Hanks kann solche emotionen in mir wecken (dabei gibt er sich redlich mühe :D )

Ja, das kenne ich:nice: Allerdings sehe ich das in diesem Fall halt anders. Ich mochte sie nämlich auch nicht. ;) Während aber die die ich sonst nicht mag, alles versuchen um Symphatien zu gewinnen, war das hier nicht gegeben. Sie diente der Beobachtung, nicht als Symphatieträger.



siehe oben. der film hatte bereits verloren, und ich war nur noch angenervt. mag sein, daß die inszenierung noch auf hohem niveau stattfand, aber gerade die szenen im garten hatten etwas unglaublich lächerliches an sich, das es das miese bild, das ich mir vom film bereits gemacht hatte, nur noch untermauern konnte.



ich wollte den film unbedingt mögen. seit ich damals die ersten ausschnitte sah (wir haben ja bereits im kinoforum darüber geredet), war ich sowas von gespannt, was da auf mich zukommen würde. und schon nach 30 minuten war alles in sich zusammengefallen, und die maßlose enttäuschung, die ich hatte, wurde von minute zu minute stärker und aussichtsloser.

Irgendwie gehe ich davon aus das der Film bei einer möglichen Zweitsichtung von Dir, 2 Punkte mehr bekommt:D Jetzt weißt du nämlich was dich erwartet und findest es möglicherweise nicht mehr ganz schlecht.



ich bin der letzte, der etwas an einem "form über inhalt"-film auszusetzen hat. aber ein film sollte halbwegs ansatzpunkte oder identifikationsfiguren haben, um den zuschauer bei der stange zu halten und sich an den schauwerten zu ergötzen, wenn er schon keine "normale" narrative struktur hat. "Amer" geht das leider völlig ab, und so konnte der film bei mir überhaupt nicht landen.

Das sehen wir halt von verschiedenen Standpunkten aus. Indentifikationsfiguren gibt es zwar nicht, brauche ich aber auch nicht, aber Ansatzpunkte bzw. Kernthemen sind genügend vorhanden. Diese im Verbund mit der Atmosphäre fand ich überragend. Ich hatte ja im Vorfeld einen reinrassigen Giallo erwartet und habe trotzdem während dem Film inständig gehofft, das er nicht abgleitet und "normal" wird. Dies hat er glücklicherweise auch nicht gemacht und ist sich treu geblieben.
 

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AW: Amer

Ich bin absolut fasziniert! War ich zunächst skeptisch, ob mich der Film auch als giallo-"Kaumkenner" packen könnte, verflogen diese Bedenken schon nach wenigen Minuten. Denn sofort bereitete mir etwas Unbehagen...Grundängste wurden angesprochen. Das Auge durch's Schlüsselloch resultierte dann in einer Gänsehaut am ganzen Körper. Kurzum: die erste halbe Stunde zählt mit zum Schaurigsten, dass ich je in einem Film zu Gesicht bekam.

Dann folgt der Bruch, doch anders als Russell, sehe ich ihn nicht negativ. Die Verwirrung über diesen, weicht nämlich Schritt für Schritt der Erkenntnis, was das Thema/der Motor des Films überhaupt ist: die sich ändernde Einstellung zum Thema Seuxalität. Erst da kamen mir solche Gedanken, dass die erste Sequenz eine Fantasie nach/während der ersten Blutung eines jungen Mädchen sein könnte (was ich vorher noch als Bettnässen interpretiert hatte, was weit weniger psychologisch interessant gewesen wäre). Dort beginnt das sexuelle Zeitalter einer jeden Frau, was dann in der zweiten Sequenz dergestalt umgeformt wird, als das Ana dann lernt Sexualität einzusetzen. Konsequent endet diese Szene in der Backpfeife durch die Mutter...konsequent deshalb, weil dem Zuschauer (rein visuell, so wie 99% des Films) der Grund für diese Abstrafung mitgeteilt wurde: es handelt sich (wohl) nicht um Scham, um das "Das ziemt sich nicht!", sondern um puren Neid. Seien es die Blicke des Autofahrers, die auf Ana gerichtet sind und nicht die Mutter oder das subtile Grinsen, nachdem Ana ihre Mutter beim Färben der grauen Haare beobachtet hat.
Den dritten Part könnte man als reine Hommage abtun, doch ist er in meinen Augen viel komplexer. Getrieben von den Geistern der Vergangenheit, kehrt Ana in das verkümmerte Haus ihrer Kindheit und Jugend zurück. Auf dem Weg dorthin hat sie (mittlerweile voll in der Sexualität angekommen) ein erotisches Erlebnis mit einem Taxifahrer, der sie einerseits abstößt, andererseits auch durch seine plakative Männlichkeit fasziniert. Dass der später auftauchende "Killer" nicht mehr als ein alter ego Anas ist, wird wohl spätestens in der Szene klar, in dem sie sich die blutigen Handschuhe auszieht.

Zu dieser dritten und letzten Sequenz habe ich aber auch noch eine Theorie, die evt. etwas abwegig klingt: diese Sequenz beschreibt metaphorisch Anas Ehe. Zunächst befindet sie sich in einem Zug, in dem sie viele Männer sieht und berührt, was für ein promiskuitives Leben vor der Sesshaftigkeit steht. Dann findet sie einen Taxifahrer (gelesen als: ihren Mann), der irgendwie anders ist, als die anderen Männer. Sie fahren zusammen zu einem Haus, ziehen also zusammen (heiraten vielleicht!?). Schon auf dem Weg dorthin offenbart sich das Wechselspiel ihrer Beziehung, welches Motor und Damoklesschwert zugleich ist: eine Mischung aus leidenschaftlicher Sexualität und missbräuchlichem Verhalten (sie darf bspw. nicht das Fenster des Autos öffnen). Ana bringt mit dem Taxifahrer somit keineswegs einen Verfolger oder Eindringling um, sondern ihren eigenen Ehemann, da sie die Misshandlungen (Schnittwunden an den Beinen) und das ständige Beobachten (ausgeschnittene Augen) ihres Mannes nicht länger erträgt. Die schwarze Gestalt/die schwarzen Handschuhe symbolisieren dabei Anas dunkle Seite, die sie letztendlich auch in den Selbstmord treibt, was auf der Bildebene als Mord an der schwarzen Person dargestellt wird.

Ist euch etwas aufgefallen? Bis auf eine kurze Erwähnung im ersten Absatz, fiel nie das Wörtchen "giallo". Das zeigt zum einen, wie gesagt, natürlich, dass ich mich in dem Genre kaum auskenne (auch wenn ich die offensichtlichen Anspielungen, wie das Farbenspiel, Hexen, Erotik, Handschuhe, Tiere oder Musik schon erkannt habe), zum anderen aber auch, dass diese Referenzwelt nur der Überbau ist, um eine Geschichte mit den Mitteln des pure cinema zu zeigen. Interessant ist dann auch, dass mir aufgrund der Mischung aus Erotik und teils schauriger, teils hitziger Atmosphäre v.a. ein Film immer wieder in den Sinn kam, der weit davon entfernt ist ein Vertreter des giallo zu sein: Picknick Am Valentinstag.
Trotzdem hat der Film es ebenfalls geschafft, dass mein Interesse am gelben Film wieder entflammt ist und ich auch jetzt beim Schreiben dieser Zeilen die Musik aus Der Tod Trägt Schwarzes Leder höre.

Summa summarum ist Amer also ein Film, der auf verschiedensten Ebenen zu überzeugen weiß. Metaphorisch, referentiell, schaurig, erotisch...das war Faszination pur!
 
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