Erbarmungslos

crizzero

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Erbarmungslos


Clint Eastwood spielt und dreht hier mal wieder ganz groß auf. Als Hauptdarsteller und Regisseur in Personalunion zeigt er mit "Erbarmungslos", dass nicht alles glorifiziert werden sollte, was man über den Wilden Westen hört. Die naive und im doppeldeutigen Sinne etwas sehr kurzsichtige Figur des Kid dient diesbezüglich als Aufhänger. Morgan Freeman und Eastwood stellen mit all ihrer über die Jahre erlangten Weisheit und Erfahrung den realistischen Gegenpart dar und erden die abgehobene Sichtweise, die Kid von Revolverhelden und Schießereien hat.

Dieses Zusammenspiel ist so fruchtbar und fast pädagogisch wertvoll, dass man Eastwood zu dieser thematischen Annäherung beglückwünschen möchte. Es wird auf herrlich menschliche Art und Weise aufgezeigt, dass ein Mord ein Mord bleibt. Auch wenn er in einer Zeit begangen wurde, in der jeder mit Waffe am Gürtel durch die Prärie geritten ist. Man löscht alles, was es von dem Menschen gab und geben wird, mit einem einzigen Finger am Abzug aus. Allein diese Aussage macht den Film so bewegend.

Zudem hat jede Figur ihre zwei Seiten. Kein Mensch ist nur gut oder nur böse. Neben den drei Cowboys, die sich nach Big Whiskey aufmachen, wird das vor allem an Gene Hackmans Darstellung von Little Bill, dem Sherriff der kleinen Wüstenstadt, deutlich. Er baut sich ein Haus, mehr schlecht als recht zusammengezimmert. Das Dach ist schief, der Wunsch nach einer eigenen Veranda groß. Außerdem sorgt er mit aller Macht dafür, dass in Big Whiskey keine Waffen zum Einsatz kommen, ja, noch nicht mal erlaubt sind. Dieses grundsätzlich gut gemeinte Gesetz zieht er allerdings mit einer derart gewaltigen Brutalität durch, dass er längst nicht als das personifizierte Recht und die menschgewordene Ordnung begriffen werden kann. Auch wenn er das wohl anders sehen würde.

Unschuldige, unbeteiligte Menschen sterben auf die eine oder andere Weise. Und manchmal nur, weil andere Menschen in unmittelbarer Nähe betrunken oder übermäßig aggressiv sind. Diese zeitlose Nachricht an den Zuschauer zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Film. Und dass daran nichts Gutes zu sehen ist, sieht man Eastwoods William Munny von der ersten Minute lang an. Selbst im Blick von Freemans Charakter Ned sieht man das, wenn er William vielsagend anschaut. Dann weiß man genau, dass die beiden früher schlimme Dinge getan haben und sich nur über die Jahre hinweg von dieser Vergangenheit distanzieren konnten. Manchmal kann man sich diese Dinge selbst niemals mehr vergeben. Nicht umsonst lautet der Originaltitel wohl "Unforgiven". Nicht umsonst kann man manchmal dann doch nicht mehr abdrücken, obwohl es doch so einfach scheint. Und nicht umsonst wirkt die bedrückende Stimmung des Films so faszinierend nach.

8/10
 
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Count Dooku

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AW: Erbarmungslos

Gute Kritik. Der Film ist imo einer der besten Spätwestern überhaupt.
 

LivingDead

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AW: Erbarmungslos

Sehr schöne Kritik zu einem Film, zu dem ich schon vor langer Zeit einmal ein Review verfassen wollte. Jetzt braucht's das sowieso nicht mehr, da du eigentlich alles Wichtige benennst, was auch mir nach Ansicht des Filmes durch den Kopf schwirrte. Schlussendlich würde ich aber sogar noch einen Punkt mehr geben, da der Film eindeutig zu meinen Lieblingswestern zählt (und davon gibt's nicht viele...).
Geht mir jetzt wohl ähnlich wie dir bei "Michael Clayton": Muss mir den Film demnächst unbedingt mal wieder ansehen, um auch wirklich sicher behaupten zu können, dass "Unforgiven" die 9/10 auch wirklich verdient. :)
 

crizzero

Filmvisionaer
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Danke für eure positiven Rückmeldungen! Freut mich, dass ich mit meiner Einschätzung da wohl ziemlich richtig liege. :)
Wurde aber auch echt mal Zeit, dass ich den gesehen habe...

Geht mir jetzt wohl ähnlich wie dir bei "Michael Clayton": Muss mir den Film demnächst unbedingt mal wieder ansehen, um auch wirklich sicher behaupten zu können, dass "Unforgiven" die 9/10 auch wirklich verdient. :)

Ja, mag sein. Die 8/10 ist bei mir mittlerweile eine so starke Bewertung geworden, dass das von meiner Seite aus schon Lob genug ist, zumal Western nicht unbedingt mein Genre sind. Aber wenn sie so repräsentiert werden, dann vergebe ich die Wertung gerne.
Die 9/10 sind schon derbe Hammerfilme und 10/10 zeitlose Meisterwerke, die meinen Geschmack hundertprozentig treffen. Von daher bin ich mir bei dieser sattelfesten (;)) 8/10 gleich zu Beginn sehr sicher.
 

Willy Wonka

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Als ich Erbarmungslos, dass erste Mal gesehen habe, vollzog ich die Klasse dieses Western nicht nach, da für mich der Film an manchen Stellen zu moralisch wirkte und ein bisschen aufgesetzt.
Ich muss auch erwähnen, dass ich zu der Zeit kein wahrer Western-Liebhaber war und das ich erst recht wenige gesehen habe. Nachdem ich über die Jahre ein paar Western von Sergio Leone und ein paar mit John Wayne gesehen habe, hat mir dieses Genre immer mehr zugesagt und vor kurzem habe ich im Kino Erbarmunglos zum zweiten Mal gesehen und mir hat der Film jetzt sehr gut gefallen.
Alle die Punkte, welche ihr schon hervorgehoben habt, sind sehr gut von Eastwood inszeniert worden, aber für mich ist es weiterhin kein persönliches Meisterwerk, das mag daran liegen, dass mir die Charaktere manchmal noch zu stiekum sind und ich mich noch nicht vollkommen mit dem Western Genre identifiziere.

Eine gute 8/10 ist bei mir aber auch drin.
 

Willy Wonka

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Gibt es eigentlich welche, die denn Film schlecht fanden bzw. denen der Film nicht zugesagt hat? Das würde die Diskussion zu diesem Film ein bisschen verstärken. Außerdem gibt es doch bei jedem Film irgendjemanden, der den Film nicht so mochte oder ist dieser Film eine Außnahme?
 

Dwayne Hicks

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er hatte bisschen seine längen würde ich sagen und noch dazu bin ich mehr der italowestern fan ist aber defintiv ein guter Film und würde auch so 8 von 10 geben
 

Eclipsed

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AW: Erbarmungslos

Ich falle aus der Reihe, betitele Unforgiven als Meisterwerk, lobe die ausgezeichnete Charakterzeichnung, die tiefgründige Psychologie und die metaphorische Auseinandersetzung mit dem Abstieg dieses uramerikanischsten Genres und vergebe klare 10/10!
 

Travis

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AW: Erbarmungslos

Ja, mag sein. Die 8/10 ist bei mir mittlerweile eine so starke Bewertung geworden, dass das von meiner Seite aus schon Lob genug ist, zumal Western nicht unbedingt mein Genre sind.
Womit du absolut richtig liegst. Wir müssen wirklich mal davon wegkommen, in einer 8/10 eine eher minderwertige Note zu sehen, da eine 8/10 auch in meiner persönlichen Werteskala für einen sehr hochwertigen Film steht. Weshalb ich die 10/10 ohnehin nur in Ausnahmefällen ziehe. Zum Beispiel bei "Taxi Driver".;)
Die 10/10 wird mir hier teilweise zu inflationär vergeben, was auch für die 9/10 gilt.Somit liegst du mit deiner 8/10-Einschätzung und deren Erklärung schon sehr gut im Rennen. Auch wenn ich hier fast zur 9/10 greifen würde.
 

kelte

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AW: Erbarmungslos

Das DVD Bild war leider unerträglich, daher warte ich mit meiner Bewertung noch bis ich die Blu-ray gesehen hab, wo das Bild hoffentlich was besser ist.
Denn meine Erinnerung an den Film geht auf den Kinobesuch damals zurück und da fand ich den Film sehr langweilig. Was aber nichts heißen muss oder heißen wird. Sonst hätte ich mir den nicht auf DVD gekauft...leider leider ein wirklich übles Bild was noch schlimmer als VHS war
 

Count Dooku

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Imo ist Erbarmungslos Eastwoods Abgesang an den Western bzw. an die Filmrolle, die er in den meisten Western (ich kenne nur die Dollar-Trilogie) hatte.
 

deadlyfriend

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AW: Erbarmungslos

Phänomenal! Habe ihn gerade beendet und bin völlig aus dem Häuschen. Was da alles im Subtext verbraten wurde, ist echt gewaltig. Da stimmt einfach alles. Die Charakterzeichnung war erste Sahne, die Dramaturgie ebenfalls. Zudem die Darstellerleistungen und der obergeile Showdown. Perfekt! Man hat hier wirklich das Ende eines Genres zelebriert.
 

Dwayne Hicks

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Wiedermal aus der Kategorie "Klassiker zu dem schon alles gesagt wurde".

Daher hier einfach mal ein "kleiner" Schwank wie ich "Unforgiven" über die Jahre immer mal erlebt hab.

Ich hab mich mit diesem Film leider immer etwas schwer getan, auch wenn mir die Intention der Machart immer bewusst war.
Die Ersichtung war so "Ja....ist schon nicht schlecht....muss ich jetzt aber nicht in nächster Zeit nochmal gucken". Das war irgendwann in meiner (späten) Jugend.

Irgendwann folgte eine Zweitsichtung wo ich den Film als "nicht meine Baustelle" abgetan habe.

Dann gabs da noch die Eastwood Western "High Plains Drifter" und "Pale Rider"....an beide habe ich mich Ewigkeiten aus unterschiedlichen Gründen nicht rangetraut, aber am Ende war ich von HPD einfach nur begeistert und von PR mehr als postiv überrascht.
Entsprechend hatte ich bissel Blut geleckt und dachte mir "Ach komm....gib Unforgiven noch eine Chance"

Auch bei der Drittsichtung sah ich kein Meisterwerk aber zumindest ein guten Film. Leider war ich dann aber auch eher mit der Frage beschäftigt warum Unforgiven jeder in den Himmel lobt während der großartige High Plains Drifter so ein Schattendasein pflegt....

Long Story Short, vor kurzem sah ich das japanische Remake (ja in die Richtung kann das zum Thema Remake auch gehen) und ich war einfach nur erschlagen wie schwermütig und deprimierend dieser Film ist....
Hab dann einige Szenen nochmal mit dem Orginal verglichen und ich kann euch sagen, das ist teilweise regelrechtes gute Laune Kino....

Und wozu führte der Vergleich? Genau...ich hatte extrem Bock malwieder Unforgiven zu schauen :D

Ja und endlich hat der Film bei mir gezündet!
Klar manche Sachen finde ich immernoch n bisschen übers Ziel hinaus, z.B. hätte Eastwood auch einmal weniger vom Pferd fallen können. Das Fieber hätte auch ohne Albträume und Todesängste funktioniert. Die Szene wo der erste "Auftrag" erledigt wird kommt im Film sehr spät und noch dazu sehr plötzlich, das wirkt für mich immer ein bisschen unstimmig. Der Film lässt sich soviel Zeit und diese eine Dreh- und Angelpunktszene kommt aus dem nichts, ohne Aufbau. War vielleicht auch Intention, aber bei der 2. Aktion hat das für mich besser Funktion.
Aber....alles jammer auf hohem Niveau.
Auch Schofield Kid so bisschen.....naja. Ich weiß so "all talk and no action" Typen gibts auch im echten Leben, aber ist für mich einfach kein Charakter den ich gebraucht hätte.

Ganz anders Gene Hackman. Wie der den sadistischen Drecksack spielt ist einfach absolut grandios! Über die Oscars lässt sich immer streiten, aber das Ding war verdient.
Vielleicht wurden die Sehgewohnheiten in den letzten Jahren weichgespült, aber ich hatte schon garnet mehr aufm Schirm was Hackman für eine Freude daran hat so eine Arschgeige zu spielen. Großartig!

Auch Eastwood und Freeman geben ein gutes Team und sogar die Lagerfeuerszenen waren super! (Kurzer Erklärung....Lagerfeuerszenen in Westernfilmen ist so ein Ding welches ich eigentlich nicht mehr ersehen kann weil es meist in unnötigen Gelaber endet).

Der Score schwankt für mich von "Is jetzt nicht so mein Ding, passt aber zum Film" bis "richtig stark!". So oder so sehr prägnant, was man von vielen aktuellen Filmen ja leider nicht behaupten kann.
Auch die Bilder sind sehr schön, tolle Locations, tolle Ausstattung, Hier passt alles.

Vielleicht sollte ich doch ganz froh sein das die aktuelle Kinolandschaft von Greenscreens und CGI dominiert wird. Denn je mehr damit (oftmals unnötigerweise) übertrieben wird, umso mehr weiß man handgemacht Filme wie Unforgiven zu schätzen.

Auch hat dieser Film nicht diese "Irgendwie ist der dritte Akt scheiße..." Krankheit. Kennt ihr das? Ihr schaut ein Film der eigentlich garnet sooooo schlecht ist aber das letzte Drittel versaut einfach komplett alles? Hier ist dem zum Glück nicht so, absolut im Gegenteil, das Finale ist eine richtig schöne Belohnung für den Zuschauer. Gewisse Charaktere bekommen endlich das was sie verdienen und die One-liner von Eastwood erinnern an alte Zeiten.

"Who's the fellow owns this shithole?"

"Well, sir, you are a cowardly son of a bitch! You just shot an unarmed man! "
"Well, he should have armed himself if he's going to decorate his saloon with my friend."

"I was lucky in the order, but I've always been lucky when it comes to killin' folks."

Etwas was dem japanischen Remake komplett abgeht....
Auch das Timing, die Bilder und die ganze Atmosphäre vom Ende...perfekt!

Es hat echt sehr viele Jahre und einige Sichtung gedauert bis ich Unforgiven in mein Herz schließen konnte, aber ich bin mega froh das es jetzt doch endlich geklappt hat. Das wars mir Wert! Danke Clint!

8/10

PS: Ich weiß, oben ist ein Post von 2009 wo ich dem Film auch schon 8/10 gegeben habe. Aber....2009 hab ich jedem Film 8/10 verpasst :ugly: und mit 9/10 oder 10/10 hab ich regelrecht ummich geworfen. 6/10 war dann schon richtig schlecht....
Das nur zur aktuellen Einordnung.
 
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