Der Vorleser

deadlyfriend

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Der Vorleser


Ich liebe es einfach einen Film zu sehen, bei dem ich im Vorfeld jeden Trailer, jeden Bericht und fast jede Inhaltsangabe ignorieren konnte. Auch das Buch ging komplett an mir vorbei, sodaß ich nur wußte das sich ein 15 jähriger Junge in eine ältere Frau verliebt. Sonst nichts. Durch dieses Nichtwissen, war ich nunmehr völlig offen für jeden Faustschlag in der Magengrube. Ohne Deckung und ohne die geringste Vorahnung ließ ich mich geistig vermöbeln.

In extrem ruhigen Bildern erzählt Stephen Daldry von einer recht ungewöhnlichen Liebe zwischen einem 15 jährigen Jungen und einer 36 jährigen Frau. Obwohl sehr viele Nacktszenen zu sehen sind, wirkt es niemals vulgär aber auch nicht gerade erotisch. Eher beschleicht einen manchmal der Eindruck das Sex als Bezahlung dient. Die Strafbarkeit für diese Verbindung wird aber nie erwähnt und kein einziger Finger wird erhoben, um moralische Bedenken einzuwerfen. Fantastisch wie man mit so einem kontroversen Thema umgehen kann. Allerdings ist das nicht das einzige Thema im Film an das man äußerst respektvoll heran ging. Die SS Vergangenheit von Hannah ist nämlich ebenfalls mit sehr viel Würde und Distanz aufgearbeitet worden, sodaß man sich selbst dabei ertappt, Verständnis für Personen aufzubringen, deren Taten man, ohne Zeitzeuge gewesen zu sein, eh nie begreifen wird.
Die Zeitspanne von 37 Jahren, die in "Der Vorleser" verarbeitet wurde, erfuhr eine hervorragende Umsetzung. Ein ungeheurer Detailreichtum ist vorhanden. So werden neben den obligatorischen Autos auch Briefmarken, Einrichtungsgegenstände und allerlei Kleinigkeiten eingebaut, die einen in die jeweilige Zeit versinken lassen. Hier hat man unglaublich viel Arbeit investiert, um uns in das Zeitgeschehen eintauchen zu lassen. Leider ist dabei aber auch ein negativer Aspekt vorhanden, der wohl nicht in der Schludrigkeit der Autoren liegt, sondern wohl eher in der mangelnden Akzeptanz des amerikanischen Publikums. Bei der wirklich perfekten Präsentation von Deutschland in den verschiedenen Jahrzehnten, lesen die Protagonisten in deutscher Sprache englische Bücher. Die Speisekarte in einer deutschen Gaststätte ist ebenfalls nicht in der Landessprache. Natürlich ist auch die Handschrift immer in englisch, was bei den wirklichkeitsgetreuen Aufnahmen einen ständig rausreißt und dadurch zeigt das man "nur" einen Film sieht. Schade, das man ein Manko wegen dem Publikum einbauen muß. Da hat man leider die Konsequenz ein wenig schleifen lassen, die man in den Sexszenen voll durchzog.
Dafür ist die Darstellerriege unglaublich. Kate Winslet hat den Oscar zu 100% verdient. Sie spielt die Figur der Hannah äußerst intensiv und sehr aufopferungsvoll. Vor allem auch die Entwicklung ihrer Person in den verschiedenen Jahrzehnten, ist einfach Wahnsinn. Normalerweise verblaßt bei so viel Kunst der Partner im Film, aber der 18 jährige Neuling David Kross schafft es äußerst überzeugend, neben ihr nicht unterzugehen. Die Nebenrollen sind genauso hochkarätig besetzt. Bruno Ganz, Ralph Fiennes und Lena Olin sind in weiteren Rollen zu sehen. Die von mir absolut verehrte Alexandra Maria Lara ebenfalls, aber sie hatte viel zu wenig Screentime, was natürlich sehr subjektiv zu verstehen ist.
Insgesamt sehe ich "Der Vorleser" als einen Pflichtfilm für das anspruchsvollere Publikum das distanziert beobachtet, aber sich trotzdem fallen lassen kann. Eine schnöde Punktebewertung halte ich hier nicht für angebracht und enthalte mich.
 

crizzero

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AW: Der Vorleser

Tolle, umfangreiche Kritik, deadly! :hoch:

Allerdings bleibe ich dabei: Winslet hätte man für fast jeden ihrer Filme den Oscar verleihen können, erst recht für "Vergiss mein nicht", wo sie meiner Meinung nach noch besser spielt. Aber sie war dran und nach der Leistung in "Der Vorleser" ist das auch nachvollziehbar. Dennoch ist der Film nichts Besonderes in meinen Augen.

Eine schnöde Punktebewertung halte ich hier nicht für angebracht und enthalte mich.

Also ich würde durchschnittliche 5/10 geben... :)
 

deadlyfriend

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AW: Der Vorleser

Allerdings bleibe ich dabei: Winslet hätte man für fast jeden ihrer Filme den Oscar verleihen können, erst recht für "Vergiss mein nicht", wo sie meiner Meinung nach noch besser spielt. Aber sie war dran und nach der Leistung in "Der Vorleser" ist das auch nachvollziehbar.

Oh, ich fand sie ebenfalls in nahezu jedem Film den ich mit ihr gesehen habe unglaublich. Ich habe ihr den Oscar auch absolut von Herzen gegönnt. Ob sie allerdings in "Vergiss mein nicht" besser spielt, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich finde ihre Rolle in "Der Vorleser" noch facettenreicher, obwohl ich sie in "Vergiss mein nicht" ebenfalls fantastisch fand. Ich denke aber mal das das wahrscheinlich im Auge des Betrachters liegt und viel damit zusammenhängt welchen Film man im Endeffekt für besser befand, weil er logischerweise auch nachhaltiger beeindruckt. Das haben mich allerdings beide!


Dennoch ist der Film nichts Besonderes in meinen Augen.

Für mich war er etwas Besonderes. Er hat mich heute auch nicht mehr so richtig losgelassen, was ein gutes Zeichen ist. Aber wir liegen ja öfter mal sehr weit auseinander, was aber ja kein Problem ist. Ich fand halt unter vielem anderen auch den Gedanken gut wie man reagiert wenn man einen Menschen liebt und irgendwann erfährt, für was er so alles die Verantwortung trägt. Wie geht man damit um? Das hat er für mich sehr stark bewältigt. Er hat für mich auch sonst eine ganze Reihe von Fragen aufgetan, deren Antworten mich interessieren würden. Wie gesagt, ich habe mich heute lange mit dem Film beschäftigt und bin sicher das ich das auch morgen noch tun werde;)
 

crizzero

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AW: Der Vorleser

Ich denke aber mal das das wahrscheinlich im Auge des Betrachters liegt und viel damit zusammenhängt welchen Film man im Endeffekt für besser befand, weil er logischerweise auch nachhaltiger beeindruckt.

Ganz sicher sogar. Zwischen "Vergiss mein nicht" und "Der Vorleser" liegen meines Erachtens Welten. Ersterer ist für mich wesentlich faszinierender gewesen und befindet sich auch in ganz anderen Wertungsregionen (9/10) als "Der Vorleser". Zwar sind die Figuren der Clementine Kruczynski und Hanna Schmitz schauspielerisch beide sehr anspruchsvoll und liegen längst nicht so weit auseinander wie die Filme selbst, aber dennoch war diese schwere Leichtigkeit, dieser bedrückende Optimismus und dieses bedauernswerte Glück eine wesentlich vielschichtigere Qualität als alles, was in der Schlink-Verfilmung gezeigt wird. Und diese Zeitsprünge empfand ich auch als ziemlich plump, zumal der Roman diese gar nicht enthält.

Wie gesagt, ich habe mich heute lange mit dem Film beschäftigt und bin sicher das ich das auch morgen noch tun werde;)

Dann geht's dir in diesem Fall wie mir mit den Watchmen... ;)
 
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Willy Wonka

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AW: Der Vorleser

Erst mal ein Lob für die Klasse Kritik zu einem sehr gelungenem Film. Die Aspekte mit der englischen Sprache waren für mich zu Beginn auch sehr merkwürdig, aber danach hat es mich nicht weiter gestört, was daran liegen könnte, dass ich es mehr ignoriert habe.
Auch ich wusste nicht sehr viel vom Film, aber das Buch liegt bei mir noch ungelesen im Schrank und wird in nächster Zeit auf jeden Fall zur Gemüte geführt.

Die Vergleiche zwischen Vergiss mein nicht und der Vorleser kann ich nicht bewerten, da ich Vergiss mein nicht noch nicht gesehen habe, aber ich sehe, dass ich dieses dringend nachholen muss.

crizzo schrieb:
Und diese Zeitsprünge empfand ich auch als ziemlich plump, zumal der Roman diese gar nicht enthält.

Warum waren sie für dich plump? Nach dem ich den Film gesehen habe, hatte mir mein Bruder, der das Buch kennt, auch erzählt das es keine Zeitsprünge gab, aber er fand sie sehr sinnvoll und gut.
Wie würde es denn aussehen, wenn diese Zeitsprünge und Rückblenden nicht gewesen wären? Der Zuschauer hätte sich sehr vor dem Kopf gestoßen gefühlt, da er auf einem Ralpf Fiennes als Michael gesehen hätte und es gibt deutliche Unterschiede zwischen David Kross und Ralph Fiennes. Durch die Zeitsprünge wurde der Zuschauer sofort mit dem Jungen und mit dem Älteren Michael konfrontiert und so konnte er zu beiden Personen eine emotionale Verbindung aufbauen. Im Buch waren die Zeitsprünge nicht nötig, da jeder Leser seine eigene Vorstellung des Michaels hatte.
 

crizzero

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AW: Der Vorleser

Warum waren sie für dich plump?

Ich empfand sie als künstlich gesetztes Stilmittel, um dem Film eine zusätzliche erzählerische Ebene zu verleihen. Sie waren meiner Meinung nach gar nicht nötig und haben den Film auch nicht bereichert, da er zu einem späteren Zeitpunkt sowieso in der späteren Zeitschiene ankommt. Das hätte man genauso gut chronologisch erzählen können und hätte dadurch den Kontrast zwischen der jungenhaften Vergangenheit mit all ihrer Leidenschaft und der erwachsenen Welt mit der über allem thronenden Rechtsprechung wohl besser hinbekommen. Denn gerade um diesen Kontrast bemüht sich der Roman. Die Zeitebenen miteinander zu vermengen, halte ich daher für kontraproduktiv.
 

Jefferson

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AW: Der Vorleser

also bei der Inszenierung wie sich die beiden naeher gekommen sind (fast voellig dialogfrei) und ueberhaupt wie sich zwischen den beiden manches abspielte (kann das nicht mehr aus dem Gedaechtnis genauer wiedergeben) fand ich schlicht merkwuerdig, richtig stark fand ich Kate in Ihrer Rolle, auch sehr gut gefiel mir der spaetere Teil wo sie vor Gericht stand. Insgesamt aber ein Film mit gemischten Gefuehlen, teilweise wirklich starke Szenen, teilweise welche wo ich bzw. wir uns zu viert auf der Couch fragten, was das jetzt wieder war... naja, mein Ding isser nicht. Trotzdm noch 6/10
ich glaube ich habe ungefaehr 10 mal im Film die Frage gestellt ob ich schon erwaehnt habe das ich den Film irgendwie "komisch" (nicht im Sinne von lustig) finde
 

deadlyfriend

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AW: Der Vorleser

also bei der Inszenierung wie sich die beiden naeher gekommen sind (fast voellig dialogfrei) und ueberhaupt wie sich zwischen den beiden manches abspielte (kann das nicht mehr aus dem Gedaechtnis genauer wiedergeben) fand ich schlicht merkwuerdig,


Merkwürdig fand ich das auch aber es wurde mit zunehmender Spieldauer für mich immer klarer. Das Verhalten von beiden ist im Laufe des Films immer verständlicher.
 
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Willy Wonka

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AW: Der Vorleser

Merkwürdig fand ich das auch aber es wurde mit zunehmender Spieldauer für mich immer klarer. Das Verhalten von beiden ist im Laufe des Films immer verständlicher.

Auf jeden Fall und der Film zeigt wirkliche Menschen und nicht irgendwelche Figuren und wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten würden. Das ist die große Leistung des Films.

crizzo schrieb:
Sie waren meiner Meinung nach gar nicht nötig und haben den Film auch nicht bereichert, da er zu einem späteren Zeitpunkt sowieso in der späteren Zeitschiene ankommt. Das hätte man genauso gut chronologisch erzählen können und hätte dadurch den Kontrast zwischen der jungenhaften Vergangenheit mit all ihrer Leidenschaft und der erwachsenen Welt mit der über allem thronenden Rechtsprechung wohl besser hinbekommen.

Interessant wäre es auf jeden Fall, wenn es eine alternative Schnittfassung des Films geben würde, dann könnte man beide Versionen miteinander vergleichen. Dennoch halte ich fest daran, dass durch die Rückblenden der Zuschauer nicht einfach im letzten Drittel des Films vor dem Kopf gestoßen wird, wenn es auf einmal eine Einblende gibt mit xx Jahren später und dann auf einmal mit Ralph Fiennes konfrontiert wird und mit ihm jetzt die gleiche emotionale Bindung haben soll wie zuvor mit David Kross, welche langsam und mit viel Gespür aufgebaut worden ist.
Aber wodurch wird der Film denn zum Durchschnitt? Sind es wirklich nur die Rückblenden, die dich stören und das die Leistung von Kate Winslet in Vergiss mein nicht besser war?
 

deadlyfriend

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AW: Der Vorleser

Die Leistung von ihr war in "Vergiss mein nicht" keineswegs besser. Sie war genauso stark. Ich halte aber es mit dir und finde die Zeitsprünge absolut nicht störend. Du hast da einen sehr intelligenten Satz eingebracht:

" Im Buch waren die Zeitsprünge nicht nötig, da jeder Leser seine eigene Vorstellung des Michaels hatte. "

Genau so sehe ich das auch. Chronologisch hätte ich es persönlich schade gefunden, weil ich durch neue Erkenntnisse in der Gegenwart gerne wieder zurück wollte und umgekehrt. Dieses Verlangen hätte ich in zeitlicher Reihenfolge nicht gehabt. Ich fand es absolut toll gelöst und bin auch heute noch nachhaltig beeindruckt.
 

crizzero

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AW: Der Vorleser

Aber wodurch wird der Film denn zum Durchschnitt? Sind es wirklich nur die Rückblenden, die dich stören und das die Leistung von Kate Winslet in Vergiss mein nicht besser war?

Tja, er weckt halt keine Emotionen bei mir. Die Schauspielerei von Winslet sticht heraus, der Rest ist aber arg durchschnittlich. Insgesamt wirkt der Film eben staubtrocken und transferiert nicht die nötige emotionale Bindung zu den jeweiligen Charakteren. Wenn ich da an den mürrischen Walt Kowalski denke, den man in "Gran Torino" nach und nach mögen muss, obwohl er längst nicht ohne Sünde ist, dann ist das z.B. eine Messlatte für die Vermittlung verschiedenster Gefühlslagen.
Bei "Der Vorleser" kommt kaum etwas rüber. Der Film versackt unter seiner monotonen Erzählweise. Daher wirken die Schnitte mit ihren Vor- und Rückgriffen in der Geschichte auch so plump. Sie sollen das Geschehen auflockern, eine zusätzliche Erzählperspektive eröffnen, dabei sind sie aber nur Mittel zum Zweck. Sie haben für mich überhaupt keine Bedeutung und bringen die Handlung nicht im Geringsten voran. Vorher spielt Fiennes' Charakter nämlich noch gar keine Rolle. Im Buch wartet man auch die Entwicklungen ab und fragt sich nicht, wie wohl der erwachsene Michael sein wird. Es interessiert noch gar nicht. Ein klarer Schnitt hätte mir daher - wie bereits erklärt - wesentlich besser gefallen. Doch selbst das hätte den Film für mich nicht aus dem Mittelmaß gerissen.
 
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deadlyfriend

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AW: Der Vorleser

Wir scheinen Filme wirklich sehr oft aus einer völlig differenten Perspektive zu sehen. Du gibst Topnoten bei Filmen die ich einfach nur stinklangweilig finde und umgekehrt ist es genauso. Macht aber ja nichts denn oftmals bekommt man vielleicht dadurch auch eine andere Sichtweise vermittelt. Ich kann deine in diesem Fall überhaupt nicht nachvollziehen, denn was du als monotone Erzählweise empfindest, hat mich an die Leinwand gefesselt. Aber das macht wie gesagt ja auch nichts. Ich fand beispielsweise ihr Wiedersehen vor Gericht einen Hammer. Besonders da ich nicht wußte das sie sich auf diesem Wege wiedersehen werden. Ebenfalls klasse fand ich, das sie von der Kamera nie direkt für ihre Taten angeprangert wurde. Das fand ich unglaublich feinfühlig inszeniert und besonders ihre Argumentation vor Gericht (Ich machte doch nur meinen Job) machte mich unglaublich nachdenklich.
 

Louis Cyphre

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AW: Der Vorleser

Mich hat der Film auch kalt gelassen.Kate Winslets Rolle bleibt von Anfang bis Ende völlig unsymphatisch.David Krross spielt zwar sehr offenherzig:),kann aber auch nicht richtig punkten.
Ohne Zeitsprünge hätte mir der Film besser gefallen.

6/10
 

Willy Wonka

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Der Film versackt unter seiner monotonen Erzählweise. Daher wirken die Schnitte mit ihren Vor- und Rückgriffen in der Geschichte auch so plump. Sie sollen das Geschehen auflockern, eine zusätzliche Erzählperspektive eröffnen, dabei sind sie aber nur Mittel zum Zweck. Sie haben für mich überhaupt keine Bedeutung und bringen die Handlung nicht im Geringsten voran. Vorher spielt Fiennes' Charakter nämlich noch gar keine Rolle.

Die Handlung soll auch nicht durch die Rückblenden vorangetrieben werden, sondern nur die Charaktere sollten mehr Facetten bekommen. Die Passagen mit dem älteren Michael zeigen dem Zuschauer, dass die Liebe, welche ihm in jungen Jahren widerfahren ist, ihn immer noch beschäftigt. Sein ganzes Leben wurde geprägt. Und dieser Wechsel zwischen dem Erwachsenendasein und der jugendliche Naivität lassen die Kontraste noch deutlicher werden.

Im Buch wartet man auch die Entwicklungen ab und fragt sich nicht, wie wohl der erwachsene Michael sein wird. Es interessiert noch gar nicht.

Vielleicht entsteht durch ein chronologisches Erzählen wirklich mehr Spannung, aber diese Spannung kann auch in einer bösen Enttäuschung enden und zwar wenn der Zuschauer Ralph Fiennes nicht als Michael wirklich wahrnimmt, da man in Gedanken etwas völlig anderes vor Augen hatte.

deadlyfriend schrieb:
Ich kann deine in diesem Fall überhaupt nicht nachvollziehen, denn was du als monotone Erzählweise empfindest, hat mich an die Leinwand gefesselt.

Ich war von dem Film und seiner ruhigen Inszenierung auch gefesselt.
 

Willy Wonka

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Mich hat der Film auch kalt gelassen.Kate Winslets Rolle bleibt von Anfang bis Ende völlig unsymphatisch.

Auf mich wirkte ihre Rolle sehr zerbrechlich und einsam. Michael war ihr einziger Freund und sonst hatte sie eigentlich keinen einzigen. Ein weiterer Aspekt ist, dass sie nicht lesen und schreiben kann und wie sie damit umgeht, das ist sehr menschlich und ich habe mitgefühlt. Als später dann andere Details von Hannah ans Tageslicht kamen, sah man Hannah mit ganz anderen Augen und man wusste nicht ob, man nur Mitleid haben kann oder ob sie wirklich die Strafe verdient hat.
Das ist alles sehr ambivalent. Und der Film thematisiert diese Ambivalenz mit sehr viel Feingefühl und geht sehr subtil vor, vor allem durch die ruhige Inszenierung.
 

deadlyfriend

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Mich hat der Film auch kalt gelassen.Kate Winslets Rolle bleibt von Anfang bis Ende völlig unsymphatisch.

6/10


Unsymphatisch? Ich habe von Anfang an Mitleid gehabt und überlegt was die arme Frau wohl so gequält hat, das sie so ist wie sie ist. Als dann die Gerichtsverhandlung kam war das der beschriebene Faustschlag in meiner Rezension und in meinem Magen. Ich hatte gerade noch mit dieser Frau Mitleid und dann so eine Offenbarung. Das kam aber schnell zurück als sie ihre Sicht der Dinge erklärt hat. Als Gegengewicht standen die Taten und die Fragen an mich selbst ob ich mit ihr Mitleid haben kann/soll/darf. Der hat mich mächtig aufgerüttelt.
 

Louis Cyphre

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AW: Der Vorleser

Mitleid?Für eine Frau,die mit Sex einen unsicheren 15 jährigen an sich bindet? Nicht bei mir.Das ist für mich kalt und berechnend,genauso wie ihre Taten als KZ-Aufseherin.
Und sowas ist für mich total unsymphatisch
 

crizzero

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Die Handlung soll auch nicht durch die Rückblenden vorangetrieben werden, sondern nur die Charaktere sollten mehr Facetten bekommen. Die Passagen mit dem älteren Michael zeigen dem Zuschauer, dass die Liebe, welche ihm in jungen Jahren widerfahren ist, ihn immer noch beschäftigt. Sein ganzes Leben wurde geprägt. Und dieser Wechsel zwischen dem Erwachsenendasein und der jugendliche Naivität lassen die Kontraste noch deutlicher werden.

Der einzig wahre Kontrast ist meines Erachtens allerdings der zwischen der Jugend und dem Alter. Und wäre dieser mit einem klaren Schnitt getrennt worden, wäre er deutlicher als alles andere gewesen. Diesen Kontrast muss man nicht die komplette erste Filmhälfte bemühen. Dass Michael immer noch so etwas wie Liebe verspürt, wird in der zweiten Hälfte sowieso viel deutlicher als in jeder einzelnen Rückblende zusammen. Die hätte man sich also sparen können. Charaktertiefe bietet das für mich jedenfalls nicht. Es greift vor, ohne Wissenswertes preiszugeben. Also kommt es mir wie ein zwanghaft gesetztes, in seiner Wirkung allerdings stinklangweiliges Stilmittel vor.

Und selbstverständlich würde der Zuschauer Fiennes als alten Michael anerkennen, warum denn auch nicht? Die sehen sich mit einem klaren Schnitt nicht unähnlicher als mit vielen, kleinen Rückblenden...
 

crizzero

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Mitleid?Für eine Frau,die mit Sex einen unsicheren 15 jährigen an sich bindet? Nicht bei mir.Das ist für mich kalt und berechnend,genauso wie ihre Taten als KZ-Aufseherin.
Und sowas ist für mich total unsymphatisch

Japp, so sehe ich das auch. Sie war zwar Analphabetin, aber nicht bescheuert. Dass sie sich einen 15-Jährigen ins Bett holt, ziemt sich vielleicht nicht, ist aber der feuchte Traum eines jeden Teenagers. Das nehme ich ihr nicht übel. Dass sie aber u.a. Menschen in einer brennenden Kirche nicht hilft, ist einfach nur menschenverachtend. Mit so einem Menschen kann ich kein Mitleid haben.
 
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