Das Schlangenei

crizzero

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Filmkritiken
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AW: Das Schlangenei

Kritik von Vince

DAS SCHLANGENEI

“Das Schlangenei” ist eine krude Metapher für den aufkommenden Nationalsozialismus im Deutschland der 20er Jahre, entliehen aus dem Stück “Julius Caesar” von keinem Geringeren als William Shakespeare. Die Entdeckung der bevorstehenden Gefahr durch eine transparente Membran hindurch, sie entkleidet sich erst in der Schlussszene, als fast beiläufig ein gewisser Adolf Hitler erwähnt wird in einer Prognose, dass dieser Mann ein Katalysator sei, der überhaupt nicht wisse, was er in Zukunft noch alles in Gang setzen könne.

Ingmar Bergman spielt mit dem Geschichtswissen des Publikums der späten 70er Jahre, doch tut er dies auf eine verwirrte, fast schon zufällig zu bezeichnende Art. Grund für seine erste ausländische Produktion als Regisseur ist nämlich in erster Linie ein Drama persönlicher Art: 1976 wurde er auf Verdacht der Steuerhinterziehung kurzzeitig festgenommen, woraufhin er für einige Jahre nach Deutschland flüchtete, um dort schließlich eben diese englisch-deutsche Produktion zu realisieren. Und das macht es schwierig, zu erkennen, inwiefern das Vorkriegsdrama wirklich den eigenen künstlerischen Ansprüchen entsprach und zu welchen Anteilen es nichts weiter als eine günstige Gelegenheit ist, dem “Carpe Diem” Folge zu leisten.

Feststellen kann man, dass das im Original “The Serpent’s Egg” titulierte Werk doch eher Zeugnis einer Phase der Orientierungs- und Planlosigkeit Bergmans ist als einer der Meilensteine um “Das Siebente Siegel” und “Wilde Erdbeeren” zuvor oder “Fanny und Alexander” kurz danach. Der gerne inflationär gebrauchte Begriff “Meilenstein” trifft in seiner ursprünglichen Bedeutung die wichtigsten Werke des Schweden sehr gut - wo man sie schon kaum mit stilistischen Schubladen kategorisieren kann, haben sie doch alle gemeinsam, für sich betrachtet fest verwurzelt, zeitlos und einzigartig zu sein. Meilensteine eben, die im Zeitstrahl wichtige Bezugspunkte setzen, nicht substituierbar sind und auch nach mehreren Augenschlägen immer noch unverändert am gleichen Platz stehen. All das ist “Das Schlangenei” nicht. Bergmans 47. Regiearbeit ist ein stilsuchender Genrefilm, noch blind von der plötzlichen Neuorientierung, affektiv abzielend auf ein Publikum, das trotz der längst erfolgten Liberalisierung unterschiedlichster gesellschaftlicher Bereiche immer noch persönlich betroffen war von den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs. Doch zwanghaft stilsuchend zu sein und eine düstere Stimmung forcieren zu wollen, genügt weder einem Meilenstein noch einem Bergman-Film.

Sinn und Unsinn des Krieges, des Lebens und zwischenmenschlicher Beziehungen gehen in diesem Zugeständnis an Genremechanismen unter und damit zugleich das, was einen guten Film des Schweden ausmacht. “Das Schlangenei” ist nicht schlecht, er ist handwerklich gut gemacht, er löst Emotionen aus und verfügt über eine Garde sehr guter Darsteller (u.a. Gert Fröbe in einer Paraderolle als Inspektor), obwohl David Carradine nicht erste Wahl war (und ob er spielt, als sei er erste Wahl, ist definitiv streitbar). Aber die Begleitumstände des Filmes und sein daraus resultierend zweifelhafter Sinn innerhalb von Bergmans Vita kann all das nicht verdecken.
5/10
 
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