AW: Pat Garrett jagt Billy the Kid
Kritik von Farman
Pat Garrett jagt Billy the Kid
Sam Peckinpah zählte zu den entscheidenden Filmemachern einer Welle von Dekonstruktionswestern, die seit Anfang der Sechziger Jahre -seit Anfang von Hollywoods Weg nach unten- über das Verhältnis zwischen Mythos und der Realität der Gegenwart reflektierten, zwischen der fernen, irrationalen Legende und einer rational rekonstruierbaren Legendenwerdung eine Brücke zu schlagen versuchten. Diese Brückenbildung wurde von den meisten sogenannten Revisionisten etwas kurzsichtig und eigennützig betrieben: Der Western wurde als Genre eine Metapher gegenwärtiger Alltagspolitik zur Zeit von Nixon und Vietnam, das weite Land als mythischer Garten Eden, auf dem (nach der romantischen Legende gesprochen) die Zivilisation die Barbarei besiegte, komplett entmythisiert. Die Brücke war somit manchmal etwas kurz geraten: Die bekannten alten Cowboys sollten nur die heutigen Probleme mit sich auf ihrem Pferd tragen und Vergangenheit war wie immer eine Bespiegelung von Heute. Dekonstruktion kann man das nicht nennen, wenn es auch manchmal große Filme waren.
Peckinpah -der vier Jahre zuvor mit "The Wild Bunch" einen historischen Wendepunkt des Kinos markierte wie "Citizen Kane"- verfilmt hier die oft verfilmte Legende des jungen Wilden des Westens, Billy the Kid, der von seinem alten Freund und Ziehvater, Pat Garrett, im Dienste des Kapitalismus, dem sich Garrett verschrieben hat, aus dem Weg geräumt wird. Diese Legende wird nach Peckinpah keiner mehr anfassen, keiner mehr eigennützig ausschlachten können. Der Film ist -wie "The Wild Bunch"- ein Film über das Heute, aber ein Film über das Heute im Angesicht eines Damals, das man nicht kennt, das das Heute aber ohne Zweifel determiniert.
Zunächst muss obligatorischerweise erwähnt werden, das der Film bis heute zerstückelt ist- und dramaturgisch sehr fehlerhaft. Es gibt eine Menge Nebenrollen, die narrativ keinen Sinn machen, und ein Bob Dylan, der ziemlich schlecht spielt und unnötig ist. Beim ersten Sehen kann der Film als ganzes für Viele schlichtweg sinnlos sein. Peckinpahs ursprüngliche Version wäre vielleicht als ein Meisterwerk des letzten Jahrhunderts anerkannt worden.
Aber das ist der Film auch so.
Das Ganze ist eine Aneinanderreihung von Einzelszenen, die retrospektiv schwer einzuordnen sind, aber eine solch überwältigende filmische Schönheit besitzen, in ihrer Kombination von atemberaubender Cinematographie, dem Soundtrack von Bob Dylan (dem man dank diesem seine fehlende Schauspielkunst verzeiht) und den Leistungen von Kristofferson, Coburn sowie Nebenrollen wie Harry Dean Stanton, Jason Robards oder Slim Pickens ein so einmaliges filmisches Denkmal über die Melancholie des Todes und die schreckliche Schönheit des Sterbens erschaffen, das der Film jegliche aalglatte Revisionisten vergessen macht.
Im Gegensatz zu "The Wild Bunch" (der für mich vielleicht der großartigste Film aller Zeiten ist), ist die Brutalität des Tötens hier nicht mehr in jeder Szene da, die Rituale des Tötens haben hier etwas zärtliches, etwas todtrauriges. Slim Pickens, der von den Klängen von Dylans "knockin on heaven's door" begleitet seine letzten Atemzüge am See aushaucht, Kristofferson alias Billy, der einen alten Freund, den er soeben unfair erschossen hat, vor seiner Familie auf einer Farm in den Armen hält.
Die Landschaft des Westens ist wie in allen revisionären Western nicht mehr der Ort der individuellen Freiheit, doch hier klebt über jedem Bild eine Schicht dieses Ideals. Der Westen ist ein Gefängnis, aber ein unglaublich schönes und gerade deswegen todtrauriges. "Pat Garrett and Billy the Kid" ist der zärtlichste Film über den Tod, den es je gegeben hat.
Fazit: Das vielleicht schwierigste Werk eines der größten und schwierigsten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts - wer sich darauf einlassen kann, wird es nie mehr vergessen.