Das Weiße Rauschen

Travis

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Gesamtübersicht aller Kurzkritiken zu Das Weiße Rauschen:

#02 05.12.08 Vince
 

Travis

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AW: Das Weiße Rauschen

Kritik von Vince

DAS WEISSE RAUSCHEN

Ausschnitte aus meiner ofdb-Kritik

Ich bin tief in der Situation verankert. Ich bekomme aus nächster Nähe mit, wie Lukas (Daniel Brühl) Scorseses Taxifahrer Travis Bickle nacheifert und von seiner Umwelt gedrängt langsam in den Wahnsinn abdriftet. Diesmal allerdings aus einer anderen, aus der In-Head-Perspektive. Ich beobachte nicht aus Travis’ Blickfeld die Stadt, sondern aus dem Blickfeld der Stadt beobachte ich Lukas. Obwohl ich in seinen Kopf schauen kann und höre, was er hört. Eine verdammt abgedrehte Perspektive, die sich mir da bietet.

Dabei baut Regisseur Hans Weingartner den brav erscheinenden Brühl zunächst geschickt als Identifikationsfigur auf, um ihn mir mit einem Ruck wieder zu entreißen. Kaum hat er nämlich die verdutzte Kino-Kassiererin in einem irrationalen Wutanfall mit dem Wort “Fotze” angeschrieen, nimmt mir die Flut den Jungen wieder. Mit Jemandem, der zunächst seine Hand wie eine Pistole auf seine neue Freundin richtet - noch harmlos, wie im Spiel - um dann vor Wut auszurasten, weil er selbst sich im Programm geirrt hat und nicht “Taxi Driver”, sondern “Rebecca” gezeigt wird, kann ich mich nicht mehr identifizieren. Zusammen mit seinem Date versinke ich im Boden vor Scham darüber, dass ich es überhaupt jemals getan habe.

Was bis hierhin noch wie das Jugenddrama eines Hochschulabsolventen wirkt, wandelt sich abrupt zum grotesken Kammerspiel, das vor allem akustische Signale ausreizt, teilweise vermengt mit visuellen Reizen, um eine wahnsinnig realistische Paranoia zu erzeugen. Die Stimmen kommen plötzlich im Auto, verschwinden dann, um im Apartment wiederzukehren und nicht mehr zu fortzugehen. Kein unfreiwillig komisches Geplapper ist hier zu hören, sondern psychologisch ausgereifter, kognitiv-assoziativer Terror, der jede Handlung verächtlich kommentiert und schließlich zum Selbstmord rät. Fieses, hinterhältiges Geflüster, alles, was mir unangenehm erscheint. Man wird weder gerne beleidigt noch mag man es, dass sich Andere hinter seinem Rücken das Maul zerreißen. Das sind die stärksten Minuten des Films

Am Ende lässt sich Weingartner jedoch zu sehr zu einem philosophisch angehauchten Schlusspunkt hinreißen, der nicht nur die schon unpassenden familiären und medizinischen Ursachenerklärungsversuche aus der ersten Filmhälfte um eine weitere entmystifizierende Facette erweitert, sondern sich mehr als nötig von dem psychologischen Innenleben des Hauptdarstellers entfernt, um in eine Erkenntnisreise auszuarten, eine geistige Aushöhlung der Pointe von “Knockin’ on Heaven’s Door”. Dies wäre beim besten Willen nicht nötig gewesen in einem potenziellen Kammerspiel, das Daniel Brühl in seinem Apartment gefangen mühelos alleine hätte tragen können.
6/10
 
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