Die Blinde Bestie

Travis

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Gesamtübersicht aller Kritiken zu Die Blinde Bestie:

#02 02.12.08 Vince
 
Zuletzt bearbeitet:

Travis

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AW: Die Blinde Bestie

Kritik von Vince

DIE BLINDE BESTIE
Ausschnitte aus meiner ofdb-Kritik
Inhalt: Ein blinder Skulpturen-Künstler entführt eine junge Frau in seine Höhle, wo er mit seiner Mutter lebt, um mit ihrer Hilfe sein Meisterwerk zu erschaffen. Nach anfänglicher Verängstigung beginnt sie, dem Mann zu vertrauen. Es kommt zu Vertrautheiten - die schmecken der Mutter aber gar nicht...

Erschafft Kunst nur, oder zerstört sie auch?

Gerade für die Skulptur lässt sich das nicht so leicht beantworten, denn sie entsteht in einem subtraktiven Verfahren: Der Künstler entfernt Bestandteile, um aus etwas Grobem - ein Stück Holz etwa, oder ein Marmorblock - etwas Spezielles zu formen. Die Form entsteht durch das Abtragen von Substanz, rein technisch gesehen ein Akt der Zerstörung. Nur muss er nicht als solcher interpretiert werden.
Yasuzo Masumura macht den Betrachter des Szenarios blind, indem er der visuellen Gestaltung der Räumlichkeiten einfach ihren Ausdruck nimmt. Der Künstler, die Hauptfigur, ist blind und der Regisseur möchte, dass der Zuschauer für diese eineinhalb Stunden ebenso das Augenlicht verliert und sein Werk eher betastet als ansieht.

Obwohl das Dreierverhältnis zwischen dem Künstler, seinem Entführungsopfer und seiner Mutter schmerzlich klischeehafte Züge annimmt, die durch ödipale Tendenzen und das Stockholm-Syndrom (die Entwicklung einer Zuneigung des Opfers zum Täter) noch weiter verkompliziert wird, baut sich parallel spürbar eine Dramaturgie auf, die viel tiefer geht, als man dies im ersten Gedanken annehmen würde. Erst in der letzten Viertelstunde scheint sich die Inszenierung von ihrer belanglos erscheinenden Lethargie zu befreien, denn erst hier zieht der Wolf seinen Schafspelz ab und konfrontiert mit einer düsteren Welt aus sadomasochistisch zugefügtem Schmerz, der dem subtraktiven Entstehungsvorgang einer Skulptur ein lebendiges Gesicht und der Skulptur selbst einen eigenen Geist gibt. Die Frage nach der Zerstörung oder Erschaffung von Kunst durch Subtraktion wird in eindringlicher Weise beantwortet.

Masumuras Werk ist unangenehm und trist, die meiste Zeit vielleicht gar schwer zu konsumieren. Die Geschichte erscheint im Ansatz zu gewöhnlich, um zu fesseln, die Dialoge entwickeln nur zwischenzeitlich Qualität und werden immer wieder durch Ausrutscher in ihrer Wirkung gebrochen. Dennoch läuft auf der Nebenspur etwas ab, das sich in einem emotional brutalen Finale entlädt, und plötzlich wird rückwirkend alles klar und deutlich.
7/10
 

Travis

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AW: Die Blinde Bestie

Beitag von Farman

Trash aus dem Land der Kino-Tabubrüche, wer will sich das entgehen lassen?
wink.gif

Und in der Tat, der Film war imo ziemlich, ziemlich abgründig (in psychologischer, ideologischer Hinsicht), obwohl das Anfangs noch nicht abzusehen war.

Und Kopfzerbrechen hatter mir bereitet. Da war erstmal bzw. hauptsächlich diese von dir angesprochene Sehen<=>Fühlen-Sache... Also wir sehen ja da einen Blinden... das Model sieht auch einen Blinden, doch wenn sie sieht, wie er ihre Skulptur zu Anfang des Films betatscht, fühlt sie seine Hände auf ihren Körper. Das bloße Sehen wird transzendiert, denn sie fühlt ja dabei auch, wie Hände ihren Körper betatschen, die gar nicht da sind: Ihr Ebenbild aus Stein wird ja nur angerührt. Doch ist das Sehen dieses Vorgangs eine zutiefst indiskrete, unangenehme Sache, wie auch das Sehen des Filmes eine sehr indiskrete Sache wird, manchmal berührt das Gesehene einen auf widerliche Art und Weise.
Das Model ist ja ne Pseudoemanze, die sich der Kunst wegen als "moderne" Frau nackt fotografieren lässt... In der Moderne sieht man das Gesehene analytisch, zeichenhaft, man "fühlt" es nicht wie der barbarisch triebgesteurte Blinde, sondern es ist ein Konstrukt. Dass das Model die Berührung, die bewusst körperliche Berührung verlernt hat (sogar die Massage ist hier nicht wirklich körperlich, sondern dazu da, sie wach und fit zu halten), ist der Grund, dass sie die Berührungen des Blinden (wie wir als Zuschauer) widerwärtig findet. Die "Kunst" des Blinden ist nur dazu da, seine Triebe zu befriedigen, die Kunst des Model-Fotografen soll hingegen was aussagen. Ich hatte das Gefühl, der Film zeigt die Unmöglichkeit dieser Grenze, die ja die Grenze von Vernunft und Trieb, von Zivilisation und Barbarei ist. Und der Film führt dann in diesem klaustrophobischen Psycho-Atelier von dem Einen ins Andere. Die Emanze verlernt das Sehen, bekommt einen abartigen Sadomasofetisch und wird vom sehenden, distanzierten, triebverleugnenden modernen Menschen zum -wie sie im Off sagt- fühlenden Insekt.
Und durch den Film sehen wir diese Wandlung vom Menschen zum Tier und fühlen uns irgendwie ekelhaft bei dem Ganzen. Der Film verweigert sich, nur als Konstrukt gesehen zu werden, sondern man soll das ganze auch fühlen, durch eine imo recht verstörende Mischung aus Sinnlichkeit und tierischer Barbarei.
Hey, aus nem Haufen Gedankenfetzen kann plötzlich was thesenartiges werden, wenn man erstmal anfängt zu schreiben.

Dieses bei Arte obligatorische "Der Film könnte ihre sittlichen Empfingungen verletzen" am Anfang eines Trashfilms traf auf jeden Fall zu- am Ende dachte ich schon, was ist das fürne kranke Scheiße.
Auf jeden Fall ist Arte der mit Abstand beste Sender Deutschlands und ich hoffe diese Trash-Reihe wird nie aufhören. Letztens kam mit "Carnival of Souls" imo ein Meilenstein...
 
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