Zeit zu leben und Zeit zu sterben

Farman

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Gesamtübersicht aller Kritiken zu Zeit zu leben und Zeit zu sterben:

#02 05.09.08 Farman
 
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Farman

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Zeit zu leben und Zeit zu sterben


Wenn Quentin Tarantino bald "Inglorious Bastards" rausbringt, wird die bohrende Frage für einen jeden Cineasten sein, inwiefern sich das Thema Krieg und das Tarantinouniversum vertragen können. Verächter und Kritiker seiner Filme und seines "Universums", die seine Filme für zynische vorpubertäre Spielereien halten, sehen die Antwort bereits voraus, aber selbst Fans müssten sich darüber den Kopf kratzen, wie das denn funktionieren soll. Eine eigentlich seltsame Frage, wenn man bedenkt, wie brutal in "Reservoir Dogs" und in "Pulp Fiction" gemordet wurde, und was unterscheidet eigentlich den ersten Kill Bill von einem Kriegsfilm? Ist der Deutsche in Spielbergs "Saving Private Ryan" so grundverschieden im Vergleich zu dem in seinem "Indiana Jones"?
Solche Überlegungen bringen uns zu Fragen nach der (Nicht?-)Übertragbarkeit von Formen und Genres und danach, worin und woraus sich sowas wie der "Inhalt" abbildet. Mit Spielberg und Tarantino haben wir zwei emblematische Gegensätze: Spielberg hat immer die Kontrolle über seine dem Thema "angemessene" Tonlage, folglich sind "Indiana Jones" und "Saving Private Ryan" zumindest in ihrer Oberfläche grundverschieden, dafür hat er aber selten die Kontrolle über den immer integrierten Diskurs über Genrekonventionen, in denen man sich unbemerkt bewegt (seine ernsten Filme haben ausnahmlos die Konventionen des Suspensekinos). Tarantino hingegen weiß so sehr und so gut über seine Genres, Formen und Zeichen Bescheid, dass jede Szene zuerst einmal nicht ernst genommen wird und Gefahr läuft, zu einem bloßen Dialog zwischen unsichtbaren Göttern einer großen Kinomythologie degradiert zu werden.

Douglas Sirk (aka Detlef Sierck) ist bekannt für subversive Taschentuch-Melodramen über heile amerikanische Vorgärten der Reichen und Schönen gedeht in einem Technicolor von einzigartiger Prächtigkeit, deren bekannteste Vertreter er in der zweiten Hälfte der Fünfziger gedreht hat. In diesen Filmen bringt er all das, was heute so positiv mit dem klassischen Hollywood verbunden wird, auf die Spitze in einem absolut einzigartigen Stil. Diese Filme sind eine Mischung aus knallhart-ironischer Satire und bittersüßem Melodram, sie wissen um ihre Manipulation, erzählen von ihrer Manipulation und glauben dreisterweise an ihre Manipulation. Sirk bringt auf eine einzigartige Weise die Übertragbarkeit des "Genres"an die Oberfläche seiner Filme, indem er sie ständig hinterfragt (wie alle großen Regisseure dieser Ära).
"A time to love and a time to die" ist die relativ unbekannte Verfilmung eines Kriegsromans von Erich Maria Remarque, der die bekannte Verfilmung "Im Westen nichts Neues" meilenweit hinter sich lässt. Es handelt sich hier um einen der experimentellsten Kriegsfilme und Filme überhaupt, von denen ich Bescheid weiß.

Ist es möglich, die Welt seiner Taschentuch-Melodramen in den zweiten Weltkrieg, gleich in der ersten Einstellung in buntem Technicolor in die Nähe von Stalingrad zu verlegen? Ist es möglich, einen Film über deutsche Soldaten und eine authentische Beschreibung der deutschen Lebensverhältnisse während des Krieges mit Hollywoodmimen auf Englisch zu drehen? Ist es möglich, Faschismus anhand eines Melodrams, das Grauen anhand von Kitsch erfahrbar, fühlbar, gegenwärtig zu machen? Stellt man eine solche Frage innerhalb seines Filmes auf die richtige Weise, so hat man sie schon beantwortet.
"A time to love and a time to die" von Douglas Sirk, der nicht nur den Kitsch in den zweiten Weltkrieg, sondern in seinen anderen Melodramen auch den Faschismus in die Vorgärten der USA verlegt hat, ist, ich wage es jetzt hiermit auszusprechen, der beste Film, der je über den zweiten Weltkrieg gedreht wurde, und neben einigen Filmen Rossellinis vielleicht der einzige, in dem wir leben und erleben, was Faschismus heißt.
Es ist ein Deutscher, der den Deutschen in diesem Film das komplexeste, das mitfühlendste und humanste und gleichzeitig das düsterste Gesicht gibt, dass sie im Kino je erfahren durften. Dieser Film ist eine Maximierung aller möglichen Mittel: Es handelt sich vielleicht um den hintergründigsten, sarkastischsten und komischsten Dialog der Filmgeschichte (O-Ton-pflicht), die Bildsprache ist einzigartig, entfremdend und einladend, komplett künstlich und doch pulsierend real (vergleichbar u.a. mit Filmen wie "Barry Lyndon" oder "GoodFellas", die eine ähnlich ambivalente Künstlichkeit haben).

Ähnlich wie Sergio Leone, Buster Keaton oder Jean Renoir vor/nach ihm, nimmt sich Douglas Sirk dem schwierigsten aller Themen an und integriert es in sein eigenes filmisches Universum und macht dieses Universum damit universell. Ein "Geheimtipp", den man sehen muss.
 
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Farman

Kleindarsteller
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AW: Zeit zu leben und Zeit zu sterben

Ich grabe diese nichtbeachtete, in der Versenkung verschwundene und zudem auch noch höchst mittelmässige Kritik zu einem nicht beachteten und relativ unbekannten Film jetzt mal aus zwei Gründen wieder aus.

Der erste ist der, dass ich ihn neulich schon wieder gesehen habe und er tatsächlich noch besser geworden ist und für mich jetzt zu den allerbesten und außergewöhnlichsten Filmen der Welt zählt. Ich hab mich bislang gefragt, was wohl der beste Hollywoodfilm der Fünfziger (des für mich auch international insgesamt besten Jahrzehnts der Filmgeschichte) sei, und konnte mich schwer entscheiden zwischen "Vertigo", "Touch of Evil" und "The Searchers", für mich die drei radikalsten und unvergleichlichsten und komplexesten US-Filme dieser Ära. Jetzt geht der Titel tatsächlich an "A time to love and a time to die". Dieser Film ist ein absolutes Weltwunder und der mit großem Abstand beste Kriegsfilm aller Zeiten (neben Buster Keatons "The General", wenn man den noch als Kriegsfilm bezeichnet). Ich bin jetzt ein riesiger Fan von Douglas Sirk geworden und werde mich nochmal genauer mit seinen Technicolor-Melodramen befassen, aber der hier ist für mich klar sein bester.

Der zweite und wichtigste ist der, dass er auf Amazon für gerade mal acht Euro zu haben ist. Ich kann nicht etwa garantieren, dass jedem der Film automatisch gefällt oder dass jeder diese Mischung aus Sarkasmus und Herzschmerz auf Anhieb verstehen wird. Aber von meiner Seite kommt eine RIESIGE Empfehlung.

Es ist einfach etwas unbeschreibliches in diesem Film, das mich zutiefst bewegt und das mich epochale Schmonzetten im Titanic-Style oder schlechte Filme über den Krieg noch umso mehr hassen lässt. Ich kann nicht genau einschätzen, wie er auf Sehgewohnheiten anderer wirken wird. Aber ich kann versprechen, wenn man sich drauf einlässt, macht er süchtig.

Ich habe ihn übrigens nie auf Deutsch gesehen und würde raten, ihn im Original mit UT zu schauen. Dass zum größten Teil Amis Deutsche spielen, macht seltsamerweise sehr viel von der ganzen Faszination des Streifens aus und ich befürchte, einige Dialogzeilen werden auf Deutsch nicht so schlagkräftig klingen wie auf Englisch.
 

Eclipsed

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AW: Zeit zu leben und Zeit zu sterben

Habe mir die DVD heute bestellt und werde eine Kritik posten sobald ich den Film gesehen habe.
Und danke für die (gefühlte) 100ste Filmempfehlung deinerseits, die mich zu einem Blindkauf "nötigte". :)
 

kelte

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AW: Zeit zu leben und Zeit zu sterben

ich hab den jetzt auch mal auf die liste gesetzt,- nur aus neugier...und wenns nisch funzt bekommt den meine "mutta" wegen der Pulver
 

deadlyfriend

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AW: Zeit zu leben und Zeit zu sterben

Ich werde ihn mir ebenfalls mal bei Gelegenheit mitnehmen aber muß trotzdem noch was fragen. Du schreibst das der Film nach dem Roman von Erich Maria Remarque gedreht wurde, der bereits als "Im Westen nichts Neues" verfilmt wurde. Dieser entstand aber bereits 1930. Hat er da nur Teile aus dem Buch verfilmt oder die Geschichte des Buches in eine andere Zeit verlegt? Irgendwie kann ich mir gerade nicht vorstellen wie das funktionieren soll. Klär mich mal auf aber ohne zu spoilern;)
 

Eclipsed

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JaredKimberlain

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AW: Zeit zu leben und Zeit zu sterben

Den kenne ich tatsächlich gar nicht, werde ich jetzt auf jeden Fall bald nachholen.
Hatte den bestimmt schon 2-3 mal in der Hand.
Vielen Dank. :)

Gruß,
J.K.
 

Farman

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AW: Zeit zu leben und Zeit zu sterben

Thx für die Rückmeldungen. Ich hoffe doch sehr, euch wird dieser großartige Film gefallen.
 

JaredKimberlain

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AW: Zeit zu leben und Zeit zu sterben

Hallo noch mal an Farman, vielleicht schaut er ja noch mal rein.
Ich muss mich aufrichtig bei dir bedanken, dieses kleine Juwel war mir bisher durchgegangen.
Ich bin, vorsichtig gesagt, schwer begeistert. Der Film ist natürlich seinem Alter entsprechend rein technisch keine Offenbarung, hat aber eine inhaltliche Stärke, die man gerade in diesem Bereich nur sehr selten findet. Die eigentlich eher seichte Story wird mit einer Intensität der eigentlichen Botschaft unterlegt, die einen verzückt, aber auch (gewollt und auch ein Muss) schwer bedrückt.
Und das Ganze in einer echten Schmonzette, wo man sich vor betrachten fragt, wie zum Teufel Sirk auf Lilo Pulver gekommen ist. Nach der Betrachtung stellt sich diese Frage allerdings gar nicht mehr, so ziemlich das Beste, was ich je von ihr gesehen habe.
Ich habe ihn übrigens entgegen deines Rates auf deutsch geschaut, bin totzdem schwer begeistert und werde die Originalvariante sehr scnell nachlegen.
Aktuell gebe ich 8/10 Punkten, denke aber, das ich da noch weiter nach oben gehe nach dem zweiten Durchgang. Könnte sogar die 10er Wertung bekommen (sträube mich immer, die nach einmaliger Sichtung zu geben).
Besten Dank noch mal an Farman, das war einer der besten Filmtips, den ich je bekommen habe. Hoffe, dass du das noch mal ließt.

Gruß,
J.K.
 

deadlyfriend

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AW: Zeit zu leben und Zeit zu sterben

Ich habe ihn gerade gesehen und bin schwer beeindruckt. Einmal vom Film und auch von Liselotte Pulver, die ich eigentlich hauptsächlich mit der Sesamstraße in Verbindung gebracht habe. Das hat sich hiermit geändert. Der Film ist eine Granate und es ist mir unerklärlich, wie diese Perle sich so lange vor mir verbergen konnte. Ich habe ihn, ohne die Empfehlung im Kopf gehabt zu haben, im O-Ton geschaut.
 
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