Zeit zu leben und Zeit zu sterben
Wenn Quentin Tarantino bald "Inglorious Bastards" rausbringt, wird die bohrende Frage für einen jeden Cineasten sein, inwiefern sich das Thema Krieg und das Tarantinouniversum vertragen können. Verächter und Kritiker seiner Filme und seines "Universums", die seine Filme für zynische vorpubertäre Spielereien halten, sehen die Antwort bereits voraus, aber selbst Fans müssten sich darüber den Kopf kratzen, wie das denn funktionieren soll. Eine eigentlich seltsame Frage, wenn man bedenkt, wie brutal in "Reservoir Dogs" und in "Pulp Fiction" gemordet wurde, und was unterscheidet eigentlich den ersten Kill Bill von einem Kriegsfilm? Ist der Deutsche in Spielbergs "Saving Private Ryan" so grundverschieden im Vergleich zu dem in seinem "Indiana Jones"?
Solche Überlegungen bringen uns zu Fragen nach der (Nicht?-)Übertragbarkeit von Formen und Genres und danach, worin und woraus sich sowas wie der "Inhalt" abbildet. Mit Spielberg und Tarantino haben wir zwei emblematische Gegensätze: Spielberg hat immer die Kontrolle über seine dem Thema "angemessene" Tonlage, folglich sind "Indiana Jones" und "Saving Private Ryan" zumindest in ihrer Oberfläche grundverschieden, dafür hat er aber selten die Kontrolle über den immer integrierten Diskurs über Genrekonventionen, in denen man sich unbemerkt bewegt (seine ernsten Filme haben ausnahmlos die Konventionen des Suspensekinos). Tarantino hingegen weiß so sehr und so gut über seine Genres, Formen und Zeichen Bescheid, dass jede Szene zuerst einmal nicht ernst genommen wird und Gefahr läuft, zu einem bloßen Dialog zwischen unsichtbaren Göttern einer großen Kinomythologie degradiert zu werden.
Douglas Sirk (aka Detlef Sierck) ist bekannt für subversive Taschentuch-Melodramen über heile amerikanische Vorgärten der Reichen und Schönen gedeht in einem Technicolor von einzigartiger Prächtigkeit, deren bekannteste Vertreter er in der zweiten Hälfte der Fünfziger gedreht hat. In diesen Filmen bringt er all das, was heute so positiv mit dem klassischen Hollywood verbunden wird, auf die Spitze in einem absolut einzigartigen Stil. Diese Filme sind eine Mischung aus knallhart-ironischer Satire und bittersüßem Melodram, sie wissen um ihre Manipulation, erzählen von ihrer Manipulation und glauben dreisterweise an ihre Manipulation. Sirk bringt auf eine einzigartige Weise die Übertragbarkeit des "Genres"an die Oberfläche seiner Filme, indem er sie ständig hinterfragt (wie alle großen Regisseure dieser Ära).
"A time to love and a time to die" ist die relativ unbekannte Verfilmung eines Kriegsromans von Erich Maria Remarque, der die bekannte Verfilmung "Im Westen nichts Neues" meilenweit hinter sich lässt. Es handelt sich hier um einen der experimentellsten Kriegsfilme und Filme überhaupt, von denen ich Bescheid weiß.
Ist es möglich, die Welt seiner Taschentuch-Melodramen in den zweiten Weltkrieg, gleich in der ersten Einstellung in buntem Technicolor in die Nähe von Stalingrad zu verlegen? Ist es möglich, einen Film über deutsche Soldaten und eine authentische Beschreibung der deutschen Lebensverhältnisse während des Krieges mit Hollywoodmimen auf Englisch zu drehen? Ist es möglich, Faschismus anhand eines Melodrams, das Grauen anhand von Kitsch erfahrbar, fühlbar, gegenwärtig zu machen? Stellt man eine solche Frage innerhalb seines Filmes auf die richtige Weise, so hat man sie schon beantwortet.
"A time to love and a time to die" von Douglas Sirk, der nicht nur den Kitsch in den zweiten Weltkrieg, sondern in seinen anderen Melodramen auch den Faschismus in die Vorgärten der USA verlegt hat, ist, ich wage es jetzt hiermit auszusprechen, der beste Film, der je über den zweiten Weltkrieg gedreht wurde, und neben einigen Filmen Rossellinis vielleicht der einzige, in dem wir leben und erleben, was Faschismus heißt.
Es ist ein Deutscher, der den Deutschen in diesem Film das komplexeste, das mitfühlendste und humanste und gleichzeitig das düsterste Gesicht gibt, dass sie im Kino je erfahren durften. Dieser Film ist eine Maximierung aller möglichen Mittel: Es handelt sich vielleicht um den hintergründigsten, sarkastischsten und komischsten Dialog der Filmgeschichte (O-Ton-pflicht), die Bildsprache ist einzigartig, entfremdend und einladend, komplett künstlich und doch pulsierend real (vergleichbar u.a. mit Filmen wie "Barry Lyndon" oder "GoodFellas", die eine ähnlich ambivalente Künstlichkeit haben).
Ähnlich wie Sergio Leone, Buster Keaton oder Jean Renoir vor/nach ihm, nimmt sich Douglas Sirk dem schwierigsten aller Themen an und integriert es in sein eigenes filmisches Universum und macht dieses Universum damit universell. Ein "Geheimtipp", den man sehen muss.