Der Auslandskorrespondent
Im Herbst 1939 arbeitete
Alfred Hitchcock nach seinem ersten amerikanischen Film „
Rebecca" unter der Leitung
David O. Selznik mit dem freien Produzenten
Walter Wanger zusammen, um einen Spionagethriller zu inszenieren. Wanger hatte die Rechte des autobiographischen Romans „Personal History" von Vincent Sheean gekauft, der die Erlebnisse eines Auslandsreporters im krisenhaften Europa der 1930er Jahre schilderte. Da Produzent Wanger während der Filmproduktion alle aktuellen politischen Entwicklungen in Europa einbeziehen wollte, wurde das Drehbuch mehrfach umgeschrieben und schlussendlich handelt es sich eigentlich um ein Originaldrehbuch von
Charles Bennett, der ein langjähriger Mitarbeiter von Hitchcock war, und Hitchcock selbst, denn vom ursprünglichen Roman war nicht mehr sehr viel übrig.
Ursprünglich als Propagandafilm intendiert, hat Hitchcock aus der Geschichte eines Reporters, der in Europa eine politischen Verschwörung aufdeckt und dessen Leben auf dem Spiel steht, einen klassischen Gernefilm, der sich zwischen Abenteuer und Politikthriller einordnet und darüber hinaus noch viele humorige Elemente besitzt, inszeniert. Dass die Hauptfigur selbst kaum etwas über die „Krise“ in Europa weiß und mit dem Einzeiler „Why not pump up Hitler“ entweder bewusst oder unbewusst seine Naivität preisgibt, scheint in Anbetracht zur chaotischen Entstehungszeit des Films, nicht mehr gewiss. Dass die Amerikaner zu diesem Zeitpunkt noch nicht über alles unterrichtet waren, was sich in Deutschland und in Europa abzeichnete, ist im Film durch den unterhaltsam Erzählton zu erkennen, welcher vermutlich weggefallen wäre, wenn der Film erst in den 1950er als ein Rückblick auf vergangene Tage inszeniert worden wäre. Ähnliches verlautbarte bereits
Charlie Chaplin über seine Parodie „Der große Diktator“, die er niemals in dieser Form realisiert hätte, wenn er bereits vom ganzen Schrecken des NS-Regimes gewusst hätte.
Der Film lässt sich zwischen Hitchcocks früheren Filmen „Die 39 Stufen“ sowie „
Eine Dame verschwindet“ und dem später oft als Meisterwerk titulierten „
Der unsichtbare Dritte“ einordnen, denn innerhalb der Filme gibt sowohl inhaltlich als auch inszenatorisch Ähnlichkeiten. So verfügen alle Filme am deutlichsten über ein Handlungsziel, dass für den eigentlich Film nichtig ist, da es sich nur um eine Finte bzw. ein sogenannter MacGuffin handelt. Die Protagonisten versuchen entweder eine Geheimformel oder Regierungsgeheimnisse in Erfahrung zu bringen und um dieses Konstrukt wird die komplette Filmhandlung gesponnen und im Prinzip ist dieser MacGuffin vollkommen nichtig und repräsentiert „Nichts“. Vor allem zwischen „Der Auslandskorrespondent“ und „Der unsichtbare Dritte“ gibt es so viele Ähnlichkeiten, die ich an dieser Stelle nicht nennen möchte, da ich sonst zu viel von der Handlung verraten würde.
Leider leidet „Der Auslandskorrespondent“ an seine Mittelmäßigkeit und Inkonsequenz. Die Handlung wurde zu häufig überarbeitet und vor allem das Ende wurde noch zu kurzfristig abgeändert und scheint nicht ganz zum restlichen Film zu passen, was aber auf die damaligen historischen Entwicklungen zurückzuführen ist. Der Film offenbart an gewissen Stellen einige Längen und stellt für mich nur eine Zwischenstufe zwischen Hitchcocks experimentierfreudigen englischen Filmen und seinen meisterhaften Spätwerden dar. Doch einige Sequenzen des Films sind großartig ausgearbeitet worden und sind schon Grund genug sich mit diesem Film auseinanderzusetzen. Dazu zählt zum einem die kurze Verfolgung eines Attentäters zwischen hunderten Menschen, die ihre Regenschirmen aufgespannt haben, und die komplette Sequenz bei den Windmühlen. Interessant ist, dass diese Szenen auch der Ausgangspunkt für Hitchcock waren, um diesen Film zu schreiben und zu drehen.
Zum Titel des Films
Der Film ist in Deutschland unter dem Titel „Mord“ am 1. Dezember 1961 in den Kinos angelaufen und somit 21 Jahren nach dem ersten Kinostart in den USA. In Deutschland erschien der Film zuerst in einer deutlich gekürzter Version, da vor allem der politische Hintergrund im Film stark beschnitten worden ist. Erst im Jahre 1986 wurde erstmals der Film ungeschnitten im Fernsehen gezeigt und lief in den folgenden Jahren vor allem unter dem Titel „Der Auslandskorrespondent“, wobei es sich um die direkte Übersetzung des Originaltitels handelt. Der deutsche Titel „Mord“ sorgt darüber hinaus für Verwirrung, weil bereits der Film „
Mord – Sir John greift ein“ von Alfred Hitchcock diesen Titel trug und auch im Original schlicht „Murder“ hieß. Aus diesem Grund sollte dieses Mal bei Namen des Themas vom OFDb-Titel abgewichen werden und der korrekte deutschen Titel „Der Auslandskorrespondent“ als Überschrift dienen.