AW: The Shield (TV-Serie)
Kritik von Vince
THE SHIELD - GESETZ DER GEWALT: STAFFEL 1
1973 war “Serpico”. Irgendwo zwischen den ersten beiden “Pate”-Epen spielte Al Pacino in Sydney Lumets Copthriller einen wider den Strom schwimmenden aufrechten Polizisten in einer Welt voller Korruption. Zusammen mit der Hauptfigur drehte Lumet gleich ein ganzes Subgenre um, erhielt dem Ermittler zwar die starke Persönlichkeit, warf dafür aber einen kritischen Blick auf das versiffte, korrumpierende Nest, das sich mit den Attributen “Law” und “Order” schmückte. Ein verzerrtes Idealbild, das sich entzerrte. Ein stiller Triumphzug des New Hollywood.
2001 war das Jahr des “Training Day”. Diesmal war es nicht das Gesellschaftsbild, das neu aufbereitet wurde, sondern die Charakterentwicklung der Identifikationsfiguren. Ethan Hawke spielte zwar einen idealistischen Jungspund in Al Pacinos Tradition, jedoch ohne dessen eigenmächtiger Handlungsweise. Da war noch jemand anders, der Hawke zum passiven Mitläufer degradierte: Denzel Washington in einer Rolle voller Ambivalenz, die ihm einen - wenn auch arg umstrittenen - Hauptdarsteller-Oscar einbrachte. Weniger der kritische Blick auf die Gesellschaft stand zu Beginn des neuen Millenniums im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Menschen in dieser Gesellschaft, als Spiegelbild von ihr, mit allen Persönlichkeitsfacetten. Menschen, die weder eindeutig als gut oder als böse einzustufen sind.
In der Essenz bleibt jedoch in beiden Fällen die gleiche Moral bestehen: Die Welt ist grau in grau - daran knüpft Shawn Ryans Copserie an.
Eigentlich hatte man nach der Schwermut von Streifen wie “Dark Blue” und “Narc” gerade bei einer Ausweitung in Serienform nicht mit dieser straighten, mitunter tiefdunkelsarkastischen Inszenierungsform rechnen können und schon gar nicht mit einem derart ausgeprägten Unterhaltungswert. Da wechseln sich schwarze Credit-Screens inklusive ungeduldig wackelnder Darsteller- und Produzentennamen mit kurzen Handkameraaufnahmen von Tatorten auf. Die Tonspur läuft derweil ohne Unterbrechungen weiter, keine Musik, kein musikalisch unterlegter Vorspann. Man leistet sich diesmal keine klassische Einführung der Charaktere, auf die nicht einmal “Training Day” verzichtet hatte. Unmittelbar ist man im Geschehen. In den Folgeepisoden werden keine “Was bisher geschah”-Montagen vorangestellt, sondern nach dem “Friss oder stirb”-Motto wird man jedes mal aufs Neue ins Hier und Jetzt geworfen.
Die 13 Folgen wirken wie aus einem Guss, könnten ein zusammenhängendes Gesamtwerk mit immer neuen Handlungssträngen sein. Beinahe bewegt sich die erste Staffel fort wie eine Comicserie. Das betrifft immer neue, unglaubliche und spektakuläre Fälle, die sich mit zwischenmenschlichen Momenten ebenso abwechseln wie die gut verteilte, verwackelte und um Authentizität bemühte Action mit Dramen- und Comedyabschnitten.
Der realistischen Aufmachung der Serie entgegen handelt es sich bei “The Shield” im Endeffekt um eine ziemlich übertriebene Arcade-Variante des vermeintlichen Ablaufs eines echten Alltags in einer Polizeizentrale. Zwar erstreckt sich die Handlung über Monate hinweg und Ereignisse überschlagen sich nicht so wie bei einem Tag “24", jedoch sind dennoch ständig Kinderschänder, Kidnapper, Triebtäter und Mörder zu Gast im Revier und haben unfassbare Dinge zu beichten. Schießereien und Tote sind an der Tagesordnung; Rapper erschießen sich gegenseitig aus dem fahrenden Auto heraus, berühmte Basketballspieler werden von der Polizei festgehalten, um so aktiv zum Erfolg bei Spielwetten beizutragen und vieles mehr häuft sich im Laufe einer Episode, um den Zuschauer bei Laune zu halten. Das immerhin funktioniert jedoch ausgezeichnet, und so muss man zwar in Sachen Story-Realismus Abstriche machen, das Suchtpotential erreicht aber phasenweise ähnliche Ebenen wie die wegweisende CTU-Serie mit Kiefer Sutherland, und das, obwohl auf richtige Cliffhanger meist verzichtet wird. Und wenn nicht, handelt es sich eher um “weiche” Cliffhanger.
Die erste Staffel zeigt schlussendlich in 13 Folgen eine taufrische Copserie mit unverbrauchten Darstellern, die produktionstechnisch klar in der ersten Liga spielt und in Sachen Konsequenz bei der Umsetzung derzeit konkurrenzlos auf dem Markt sein dürfte. Wirklich innovativ ist das Konzept zwar nicht, aber es setzt altbekannte Tugenden mit dem Entertainment als höchster Priorität beeindruckend um. Zwar verwundert der fehlende Realismus durch übertriebene Anhäufung von unglaublichen Vorfällen, doch dafür ist der Unterhaltungswert unerwartet hoch. Michael Chiklis ist das Highlight in einer Garde von mehr als fähigen Darstellern, die alle daran teilhaben, dass der Crime-Abend im TV soeben auf eine neue Stufe der Fernsehunterhaltung gehoben wurde.
8/10